Der Handgrip: günstiges und einfaches, aber auch sinnvolles Assessmentinstrument?
Ein sinnvolles Assessment ist integraler Bestandteil evidenzorientierten medizinischen und wissenschaftlichen Handelns. Dies begründet sich einerseits auf finanzieller Seite – lediglich Interventionen die eine quantifizierbare Wirkung besitzen sollten bezahlt werden, aber auch auf einer ethischen Seite – lediglich wirksame Interventionen sollten angewendet bzw. dem Patienten zugemutet werden. Diese Wirkung bezieht sich hierbei auf die Veränderung physiologischer Parameter, Konstrukten wie den motorischen Basisfähigkeiten (d.h. Kraft, Ausdauer, Koordination, Beweglichkeit) oder psychologischen Konstrukten (z.B. Lebensqualität oder Depressivität). Um aber auch nur einen Bruchteil des Wesens, des Funktionsstatus oder der Persönlichkeit eines Menschen zu erfassen ist ein Testinstrument alleine meist nicht ausreichend, stattdessen werden Testbatterien oder –profile angewandt, welche die Grundlage für die Konzeption von Interventionen darstellen.
Gütekriterien und Vorüberlegungen – Was messe ich und will ich das überhaupt?
Die Auswahl geeigneter Testinstrumente ist dabei keineswegs als trivial zu bezeichnen, es müssen verschiedene, einem Test immanente Charakteristika, die Hauptgüte- und Nebengütekriterien, berücksichtigt werden. Vereinfacht können drei Hauptgütekriterien unterschieden werden, die Objektivität (ist das Ergebnis eines Testverfahrens unabhängig vom Testleiter?), die Reliabilität (Wie genau misst das Instrument?) und als wichtigstes die Validität (Misst das Instrument überhaupt das, was es zu Messen vorgibt?). Gerade für den therapeutischen Einsatz muss auch das Nebengütekriterium der Ökonomie (Was kostet der Test, sowohl materiell als auch zeitlich?) berücksichtigt werden. Aus Sicht der Testkonstruktion und Testtheorie steht die Frage danach, welches Konstrukt genau gemessen werden soll immer am Anfang des Testprozesses. Hierzu sind Grundlegende theoretische Überlegungen Notwendig, beispielsweise inwieweit das Testergebnis bzw. das Antwortverhalten von anderen Konstrukten beeinflusst wird, z.B. ein Depressions-Fragebogen durch das Konstrukt Ängstlichkeit oder ein Krafttest durch die Ausdauerfähigkeit verzerrt wird. Anhand mehrerer Indikatoren (im Fragebogen mehrere Fragen) kann die Internekonsistenz des Fragebogens erhöht werden, was in einer immer genaueren Bestimmung der Fähigkeitsausprägung mündet, um eine Standortbestimmung des Probanden oder Patienten zu ermöglichen und ihm mit anderen, z.B. einer Norm, zu vergleichen. Gerade im motorischen Testen ist die Erhebung mehrerer Indikatoren einer Fähigkeit wegen des zeitlichen und apparativen Aufwandes aber meist nur schwer möglich. Auch verschieben sich in der Versorgungsrealität oft die Prioritäten hinsichtlich der Testgütekriterien hin zur Testökonomie. Anders ausgedrückt, ist der Test leicht und zügig durchführbar und verschlingt wenig Ressourcen, kann hinsichtlich der Hauptgütekriterien auch mal ein Auge zugedrückt werden.
Die Hand-Grip-Dynamometrie
Ein Testverfahren, das gerade in der Test-Ökonomie hervorragend abschneidet ist die Hand-Grip-Dynamometrie (HGD). Die HGD erfasst die isometrische Maximalkraft des Faustschlusses und damit der Muskulatur des Unterarmes. Gerade hieraus ergibt sich allerdings bereits die Frage der Validität des Tests, konkret, inwieweit die Erfassung der isometrischen Maximalkraft der Unterarmmuskulatur Aussagen über die Gesamtkörperkraft, die allgemeine Fitness oder den Funktionsstatus eines Menschen zulässt. Nachfolgend sind mit Hilfe einer unsystematischen Literaturrecherche Studien zusammengefasst, welche die Frage nach der Testeignung der HGD beantworten sollen.
Reliabilität – Wie genau ist die HGD?
Die Literatur zeigt einen Konsens dahingehend, dass der Handgrip reproduzierbar genau misst. Die Reliabilität des Handgrips beläuft sich über mehrere Studien und Populationen konsistent auf einen Bereich von ICC/r > 0,8 [1-5].
Prognostische Validität – Zusammenhang HGD und Mortalität
Die Prognostische Validität beschreibt, wie gut ein Test ein in der Zukunft liegendes Ereignis vorhersagen kann. Gerade dank seiner Einfachheit liegen für die HGD hierzu sehr Umfangreiche Datensätze vor.
Abbildung 1. Inzidenz in Abhängigkeit vom Handkraftertil aus Leong et al. (2015) S. 271 [6]
Beispielsweise schließen die Autoren in einer knapp 150 000 Personen umfassenden prospektiven Kohortenstudie: “This study suggests that measurement of grip strength is a simple, inexpensive risk-stratifying method for all-cause death, cardiovascular death, and cardiovascular disease.“ Konkret zeigte sich ein positiver, indikationsübergreifender Dosis-Wirkungszusammenhang von Griffkraft und Versterberisiko (Abb.1) [6]
Dieser Zusammenhang konnte auch in einer kürzlich veröffentlichten großbritannischen Beobachtungsstudie mit über 400 000 beobachteten Personen bestätigt werden, wonach die 25% mit der höchsten Griffkraft in der Population eine um etwa 30% niedrigere Versterbewahrscheinlichkeit aufwiesen, als das schwächste Viertel [7]. Auch der Verlust an Griffkraft besitzt eine enge Assoziation mit vorzeitigem Versterben [8]. Hier wiesen die Probanden, deren Griffkraft binnen zwei Jahren abnahm eine höheren Anteil an Todesfällen auf, als jene Gruppe, die keine Krafteinbußen verzeichnete. Dies bestätigt sich auch in den Ergebnissen der „Leiden 85-plus study“, wobei die >89 Jährigen besonders von einer hohen Griffkraft profitierten [9].
Diese nicht-experimentellen Studienergebnisse müssen natürlich mit Vorsicht behandelt werden, da die Ursache-Wirkungsbeziehung ungeklärt bleibt. Allerdings ist dies für die Diagnostik, welche sich zunächst nur für die Merkmalsausprägung interessiert weniger relevant, solange der Gesundheitsparameter sinnvoll abgebildet werden kann.
Prognostische Validität – Weitere Outcomes
Neben dem distalsten aller Outcomes, sind gerade für den therapeutisch-rehabilitativen Bereich auch funktionale Validierungskriterien und proximale Gesundheitsparameter wichtig. Beispielsweise existieren Daten zugunsten eines positiven Zusammenhangs von Griffkraft und der Gesundheitsbezogenen Lebensqualität [10]. Al Sni und Kollegen konnten auch eine Funktionsminderung in den Aktivitäten des täglichen Lebens von älteren Menschen mit unterdurchschnittlichen Hand-Grip-Werten beobachten [11], Rantanen et al. konnten sogar zeigen, dass anhand in den späten 60er Jahren erhobene Handkraft Einschränkungen in der Alltagsfunktion sowie der Gehgeschwindigkeit fast 30 Jahre später vorhergesagt werden konnten [12]. Die Sensitivität zur Unterscheidung zwischen Fähigkeit und Unfähigkeit von Personen körperlich anspruchsvolle Arbeiten mit der Hand (z.B. Umgang mit schweren Werkzeugen) zu bewältigen, beläuft sich auf 75% [1]. Des Weiteren konnten positive schwache bis mittlere Korrelationen von Handkraft und Knochendichte [13-16] und sogar Entzündungsparametern gefunden werden [17,18].
Konvergente Validität – Ist die HGD Indikator für die allgemeine Fitness und Körperkraft?
Häufig wird postuliert, HGD wäre eine einfache Möglichkeit die allgemeine Kraftfähigkeit zu schätzen. Allerdings existieren kaum Studien, welche die Handkraft mit der Maximalkraft einer anderen Muskelgruppe korrelierten. Im Rahmen der Recherche konnte lediglich eine Studie identifiziert werden, welche sich dieser Frage annahm, allerdings keine Volltexteinsicht möglich war. Hierin wurde ein insignifikanter Zusammenhang zwischen der Griffkraft und der Kraft der Ellenbogenflexoren von r= 0,16 zwischen Griffkraft und Ellenbogenflexoren fand [19]. Sollten einer Leserin oder einem Leser weitere Studien bekannt sein, welche den Zusammenhang von HGD und anderen Tests zur Kraftfähigkeit oder Fitness untersuchten, würden wir uns über eine entsprechende Literaturangabe in den Kommentaren sehr freuen.
Veränderungssensitivität – Wie sensitiv reagiert die HGD auf Interventionen?
Abbildung 2. Standardisierte Effektstärke in der onkologischen Bewegungstherapie in Abhängigkeit von der Getesteten Muskelgruppe.
Um sinnvoll als Evaluationsinstrument eingesetzt werden zu können, müssen Testinstrumente auch eine gewissen Veränderungssensitivität besitzen, d.h. sie müssen Veränderungen des zu erfassenden Konstruktes ebenfalls abbilden. Eine eigene Übersichtsarbeit, welche sich mit den Effekten von Krafttraininginterventionen auf die motorische Kraftfähigkeit bei onkologischen Patienten und Rehabilitanden beschäftigt, zeigte, dass der Handgrip verglichen mit Evaluationsinstrumenten welche die Kraftfähigkeit der oberen und unteren Extremität dynamisch erfassten, vergleichsweise schwache Effekte zeigt (Abb. 2). HGD reagiert also weit weniger sensitiv auf eine Krafttrainingsintervention, als dies zu erwarten wäre [20].
Fazit und Zusammenfassung
Der Handgrip ist ein einfacher motorischer Test, welcher die isometrische Maximalkraft des Faustschlusses misst. Er zeigt eine sehr hohe Reliabilität, einen guten prognostischen Gehalt mit Blick auf die zukünftige Gesundheitsentwicklung, seien es Veränderungen der Lebensqualität, der Funktionsfähigkeit oder sogar das vorzeitige Versterben. Ungeklärt ist allerdings, inwieweit die isometrische Handkraft mit anderen Kraftparametern anderer Muskelgruppen korreliert ist und ob Sie zumindest als einen Indikator für eine Grundlegende Kraftfähigkeit oder einen insgesamt körperlich aktiven Lebensstil darstellt. Dafür sprechen die vielen positiven Gesundheitsassoziationen, dagegen die mangelnde Veränderungssensitivität des Handgrips durch allgemeines, unspezifisches Krafttraining.
Zur allgemeinen Zustandsbestimmung einer Person kann die HGD als nützliches Instrument betrachtet werden. Für den Einsatz zur Quantifizierung von Interventionseffekten ist sie allerdings eher ungeeignet, es sei denn, die Intervention zielt genau darauf ab, die Handkraft zu verbessern, z.B. in der neurologischen Rehabilitation. Hier wäre wegen der inhaltlichen Validität die HGD als Evaluationsinstrument indiziert.
Referenzwerte – Wie stark bin ich im Vergleich zu den anderen?
Nachfolgend sind alters- und geschlechtsspezifische Referenzwerte für die HGD aufgeführt. Die Daten stammen dabei aus einer populationsbasierten Untersuchungen mit 769 Probanden ( 52% weiblich) aus dem Münchner-Raum [21]. Das Alter der Probanden lag zwischen 20 und 95 Jahren. Angegeben sind immer die Perzentilwerte, also wie viele % der Altersgruppe unter dem Handkraftwert in kg liegen.
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