B&G 2024, Fachzeitschrift

2024 | 05 Onkologie bewegt

Wissenschaft

Sportunterricht mit Schüler*innen nach einer Krebserkrankung – Sichtweisen und Erfahrungen von Sportlehrer*innen – Katharina Oberwetter, Joachim Wiskemann, Markus Wimmer, Katharina Eckert für das Netzwerk ActiveOncoKids (NAOK)

Machbarkeit eines digitalen Übungsprogramms in der pädiatrischen Onkologie – Nicole Soinski, Gunnar Cario, Anouk Riou, Thorsten Schmidt

Praxis

Krebsbedingte Schlafstörungen, Insomnie und körperliche Aktivität- Jane Kersten, Timo Niels, Freerk T. Baumann

Training in der Hämatoonkologie – Rea Kühl , Antonia Pahl , Matthias Limbach , Annika Wegener , Hartmut Bertz , Joachim Wiskemann , Stephanie Otto.

UV-Schutz bei sportlicher Aktivität im Freien – Vera Fieber, Sandra Weigmann-Faßbender, Friederike Stölzel, Eckhard W. Breitbart, Christine Hofbauer, Heidrun Beck, Martin Bornhäuser, Nadja Knauthe

Stellungnahme des Deutschen Verbandes für Gesundheitssport und Sporttherapie zur onkologischen bewegungsbezogenen Versorgung (Stand Juli 2024) – Angelika Baldus

Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

die Onkologie ist eines der dynamischsten Forschungs- und Versorgungsfelder weltweit und befindet sich stetig durch neue therapeutische und diagnostische Innovationen im Wandel. Dies hat seine Berechtigung, denn pro Jahr erkranken in Deutschland ca. 500.000 Menschen an Krebs und ca. 230.000 Menschen sterben daran.

In den letzten 20 Jahren setzte sich zudem, flankiert von zahlreichen wissenschaftlichen Daten, die Erkenntnis durch, dass mindestens Maßnahmen zur körperlichen Aktivierung und, bedarfsadaptiert, auch eine bewegungstherapeutische Begleitung und Nachsorge für jeden Krebspatienten und jede Krebspatientinnen zum Versorgungsstandard werden soll.

Die Idee ist dabei ein bedarfsadaptierter und zielgerichteter Einsatz von Maßnahmen aus dem Portfolio der Bewegungsförderung und Bewegungstherapie, mit dem Ziel klinisch relevante biopsychosoziale Nebenwirkungen und Belastungsfaktoren, welche durch die onkologische Diagnose und/oder Behandlung verursacht werden, möglichst präventiv in der Entstehung zu verhindern oder rehabilitativ optimal zu behandeln. Somit nähert sich der Einsatz der Sport- und Bewegungstherapie in der Onkologie, in einer gewissen Art- und Weise, dem Einsatz eines gezielten Krebsmedikaments. Darüber hinaus, so belegen es zahlreiche (überwiegend beobachtende) Studien, hat Bewegung das Potenzial das Wiederauftreten onkologische Erkrankungen (Rezidive) unwahrscheinlicher zu machen und die Überlebenszeit nach Krebsdiagnose signifikant zu verlängern.

Auch wenn mittlerweile hunderte Studien vorliegen, die keinen Zweifel an der Sinnhaftigkeit von Bewegung und Bewegungstherapie im gesamten Verlauf eines onkologischen Krankheitsgeschehens lassen, sind zahlreiche relevante wissenschaftliche Forschungsfragen noch nicht untersucht worden und die Implementierung steht in vielen Ländern der Welt noch ganz am Anfang. Woran liegt das?

Nun, mit Blick auf die Forschungsfragen könnte man die unglaubliche Variabilität onkologischer Erkrankungen und der möglichen Therapieverfahren anführen. Denn Krebs ist nicht gleich Krebs. Nahezu jede Gewebsstruktur unseres Körpers kann entarten und Tumorzellen entwickeln und das in jeder Phase des menschlichen Lebens, wobei Krebserkrankungen dominant in der 2. Lebenshälfte auftreten. Dabei lässt sich gut nachvollziehen, dass ein Tumor in der Brust ganz andere Konsequenzen und Behandlungsverfahren nach sich zieht, wie beispielsweise ein Tumor im Bereich des Darms, des Gehirns oder unserer blutbildenden Stammzellen, um nur einige wenige Beispiele zu nennen. Tumore können darüber hinaus lokal begrenzt sein oder bereits weitere Absiedlungen im Körper (Metastasen) gebildet haben, beispielsweise im Knochen, die möglicherweise Instabilitäten mit Frakturgefahr mit sich bringen. Zudem werden auf onkologischer Ebene alle nur erdenklichen Anstrengungen unternommen den Tumor erfolgreich zu behandeln. Sei es mithilfe von komplexen chirurgischen Eingriffen, verschiedensten Zellgiften (Chemotherapien, etc.), antihormonellen Medikamenten, unterschiedlichsten Bestrahlungsmethoden oder therapeutischen Ansätzen, die das Immunsystem der Patient*innen zur Behandlung des Tumors neu programmieren. All diese verschiedenen Therapieoptionen bringen eine Vielzahl von möglichen Nebenwirkungen und Komplikationen mit sich. Je nach Kombination der zugrunde liegenden Erkrankung, der onkologisch gewählten Behandlungsverfahren und den individuellen biopsychosozialen Eigenschaften und Ressourcen der Betroffenen, können sich die bewegungsbezogenen Ziele somit beispielsweise aus orthopädischen, internistischen, neurologischen, psychologischen und sozialen Aspekten zusammensetzen und durch die zum Teil sehr lang an haltenden (zum Teil auch dauerhaften) onkologischen Therapien sich kontinuierlich verändern. Es ergeben sich also zahlreiche Kombinationsmöglichkeiten, die die Betreuung von onkologischen Patienten*innen so facettenreich und herausfordernd macht sowie viele Forschungsfragen generiert.

Diese komplexen Herausforderungen wirken sich auch auf die Implementierung aus. Neben dem, dass das Thema Bewegung grundsätzlich mit zu wenig Lobbypower im gesundheitspolitischen Kontext agieren kann, ist es genau diese Komplexität, die einen einfach abzubildenden onkologischen bewegungsbezogenen Versorgungspfades verhindert. Bewegungstherapie ist sowieso nie gleich Bewegungstherapie und vor dem Hintergrund von Krebserkrankungen schon gar nicht. Daher sind in der Implementierung besondere Anstrengungen notwendig, die durch zahlreiche Maßnahmen derzeit vorangetrieben werden, bei denen allesamt der DVGS eine wichtige Rolle einnimmt. Als ein Beispiel sei hier die Harmonisierung und Strukturierung der Qualifikationsmöglichkeiten zur bewegungstherapeutischen Versorgung von onkologischen Patienten genannt, die in dieser Ausgabe thematisiert wird.

Darüber hinaus wird möchten wir Sie, liebe Leserinnen und Leser, mit dieser Ausgabe der B&G ein wenig in die facettenreiche Welt der Onkologie mitnehmen. Dabei adressieren die Beiträge dieser Ausgabe, ganz im Sinne des Facettenreichtums, zahlreiche Aspekte, die von der Bedeutung des Sportunterrichts bei Kindern nach überstandener Krebserkrankung, über die Machbarkeit von digitalen Übungsprogramm bis hin zur Behandlung von Schlafstörungen und Hilfestellungen zur Umsetzung von Bewegungstherapie bei Patienten mit Blutkrebserkrankungen reichen. Abschließend behandelt diese Ausgabe einen zentral wichtigen Aspekt der der Krebsprävention: den UV Schutz.

Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre!

Freerk Baumann und Joachim Wiskemann