Gesundheit Aktuell, Kongresse

28. Rehawissenschaftliches Kolloquium

Deutscher Kongress für Rehabilitationsforschung
Congress of EFRR
Congress of the European Forum for Research in Rehabilitation

Berlin, 20.04.2019

Das 28. Rehabilitationswissenschaftliche Kolloquium fand vom 15. bis 17. April 2019 in Berlin statt. Das Rehabilitationswissenschaftliche Kolloquium ist als Deutscher Kongress für Rehabilitationsforschung das bedeutendste Forum für praxisrelevante Ergebnisse zur medizinischen und beruflichen Rehabilitation in Deutschland. Jährlich nehmen über 1.600 Expert*innen aus Forschung und Praxis, Verwaltung und Politik teil. In diesem Jahr versuchte man gemeinsam mit dem Kongress des European Forum for Research in Rehabilitation (EFRR) Impulse für die länderübergreifende Bearbeitung rehabilitationsrelevanter Fragestellungen auszunutzen und den interdisziplinären Austausch und die Vernetzung auf europäischer Ebene zu schaffen. Die Veranstaltung wurde von der Deutschen Rentenversicherung Bund in Kooperation mit der Deutschen Rentenversicherung Berlin-Brandenburg, der Deutschen Gesellschaft für Rehabilitationswissenschaften (DGRW) und dem European Forum for Research in Rehabilitation (EFRR) ausgerichtet.

Rückblick zum Rehakolloquium 2018

Ein Blick auf das letztjährige Reha-Kolloquium verrät, welchen Stellenwert die Sport- und Bewegungstherapie in der Rehabilitation hat. Unter der Überschrift „Rehabilitation bewegt!“ galt 2018 erstmalig das Hauptthema dieses Kongresses der Bewegung*. Einem interdisziplinären Publikum wurden zum Beispiel die vielfältigen positiven Effekten, die die Bewegungstherapie auf verschiedenste chronische Erkrankungen hat, vorgestellt. Es bedürfe einer Bewegungstherapie, die auf langfristige Bewegungsförderung ausgerichtet ist. Dort erfolgte unter anderem von Prof. Dr. Klaus Pfeifer (Universität Erlangen-Nürnberg) der Ausruf, dass körperliches Üben und Trainieren mit dem direkten Erfahren positiver Bewegungswirkungen verknüpft werden müsse. Für die Rehabilitationsforschung gelte es, so Prof. Pfeifer, wirksame Interventionskonzepte dahingehend weiterzuentwickeln und zu erproben sowie deren nachhaltige Nutzung durch Organisationsentwicklungsprojekte in der Praxis zu sichern. Die Erwartungen zu diesem Ausruf konnten in diesem Jahr durch die deutlich geringere Anzahl an explizit sport- und bewegungstherapeutischen Sessions nicht ganz erfüllt werden. Nichts desto trotz fand man teils enge Bezüge zu dem Thema Sport- und Bewegungstherapie und Bewegungsförderung auf dem 28. Reha-Kolloquium, die von unterschiedlichen Professionen (z. B. Ärzten, Gesundheitswissenschaftlern, Psychologen) vorgestellt wurden.

Bewegungsbezogene Themen auf der Rehakoll 2019

Natürlich waren wir als DVGS auch auf dem Rehakoll 2019 wieder vertreten, haben uns in Fachdiskussionen eingebracht und uns über Neuerungen informiert.

Die Postersession beschäftigte sich schwerpunktmäßig mit psychologischen Interventionen und Assessments. Vereinzelt gab es bewegungsbezogene Themen im Bereich Knietotalendoprothese, Posterpräsentationen zur Erfassung fremdsprachiger Assessments, zur Wirksamkeit der Ernährungsberatung, Suchterkrankungen und zur Erwerbsminderungsrente.

Einen deutlich größeren Schwerpunkt bewegungsbezogener Inhalte gab es bei wissenschaftlichen Vorträgen zur orthopädischen/rheumatologischen Rehabilitation. André Golla sprach über die „Ausgestaltung der Bewegungstherapie für Rehabilitanden mit chronischem Rückenschmerz“. Andrea Reusch berichtete über „Psychologische Strategien für die Bewegungstherapie“. Miriam Markus stellte die Ergebnisse über „Effekte medizinischer Rehabilitationsprogramme bei Muskel-Skelett-Erkrankungen zehn Monate nach der Rehabilitation“ vor. Sarah Eichler berichtete über die lang erwarteten Ergebnisse aus der Studie ReMove-IT zum Thema „Telemedizinische Bewegungstherapie als Ergänzung zur Reha-Nachsorge von Patienten nach Knie- oder Hüft-TEP“. Wem diese Studie bekannt vorkommt, der hat wahrscheinlich den zugehörigen Beitrag in der B&G gelesen: https://www.thieme-connect.de/products/ejournals/abstract/10.1055/s-0043-118139

Die Ortho/Rheuma Session endete schließlich mit dem Vortrag von Sonia Lippke zum Thema „Bedeutung von körperlicher Aktivität und körperlicher Belastungsfähigkeit sowie Selbstwirksamkeitserwartung und soziale Unterstützung für die Rückkehr in Erwerbstätigkeit von medizinischen Rehabilitanden“.

Am Tag 2 des Kolloquiums widmeten sich mehrere Referenten den Assessmentinstrumenten in der Rehabilitation. Es wurden verschiedene Screening-Instrumente auf ihre Praktikabilität und Validität hin überprüft. Außerdem wurde ihre Eignung zur Vorhersage im Hinblick auf Muskel-Skelett-Erkrankungen, Aktivität und Teilhabe und bei psychischen Erkrankungen untersucht. Generell zog sich die ICF-orientierte Beurteilung als Basis für Untersuchungen durch viele Themenbereiche auf dem Rehakoll.

In dem Plenarvortrag führte Prof. Christiane Woopen aktuelle Entwicklungen in der Rehabilitation und Gesundheitsförderung aus. Frau Woopen ist seit 2017 Vorsitzende des Europäischen Ethikrates. Sie stellte einige kontroverse Fragen zum Thema Bioethics, unserer technologischen Entwicklung, die sich nicht nur positiv durch die Digitalisierung und die Nutzung technischer Hilfsmittel und Robotik in unserer Gesellschaft entwickelt. So benannte aus Ihrer Sicht dabei eine Benachteiligung von bestimmten Menschengruppen im Hinblick auf die seit einem Jahrzehnt rasante Entwicklung der Wearables. Benachteiligte bei dieser Entwicklung sind aus ihrer Sicht 1. Rollstuhlfahrer, 2. Menschen, die für ihre Gesundheit lieber meditieren und 3. diejenigen, die ihre Aktivitätsdaten nicht an Dritte weitergeben wollen.

Methodik rehabilitationswissenschaftlicher Forschung

Wichtige Themenbereiche waren die Methodik rehabilitationswissenschaftlicher Forschung. Dieses Thema wurde mal wieder intensiv diskutiert und debattiert. Ist eine qualitativ hochwertige evidenzbasierte Forschung möglich, trotz der Kürze von Rehainterventionen, fehlender Kontrollgruppen, vorliegender Interessenskonflikte bzw. fehlender Möglichkeit der Verblindung? Diese Frage stellten sich mal wieder einige Wissenschaftler und Praktiker. Die einhellige Meinung der Experten war, dass es grundsätzlich durchaus sehr gut möglich ist. Jedoch fehlt es an vielen Stellen an Forschungsgeldern, wissenschaftlich ausgebildetem Personal, mangelnder Vernetzung zwischen den Kliniken und Vertrauen des Personals und Skepsis der Patienten, um etwaige rehabilitationswissenschaftliche Forschung voranzutreiben.

DGRW-Update

In der nachmittäglichen Session „DGRW-Update: Onkologische Rehabilitation“ am Dienstag stellte Dr. med. Ulf Seifart als Experte, der sowohl als Reha-Praktiker als auch als Reha-Forscher in der onkologischen Rehabilitation bekannt ist in seinem Vortrag Ergebnisse von bewegungsbezogenen Therapien/Interventionen vor, die positiv auf zahlreiche Komorbiditäten und die Nebenwirkungen der Krebstherapie abzielen. Nicht unerwähnt blieben die immer höher steigenden Medikamentenkosten in der Onkologie, durch die immer intensivere individualisierte Krebstherapie entstehen.

Pneumologische Rehabilitation

Die Studienlage ist im Bereich von COPD und asthmatischen Erkrankungen in der Rehabilitation sehr überschaubar. Umso interessanter waren diese Studienergebnisse, die am Mittwochmorgen vorgestellt wurden. Dr. Wolfgang Geidl stellte für sein Team die neuen Ergebnisse aus der STAR-Studie zu „Körperliche Aktivität und Sitzen von Personen mit COPD vor einer pneumologischen Rehabilitation – eine Clusteranalyse“ vor. Dabei referierte er über das Bewegungsverhalten (Sitz- und Aktivitätsverhalten vor Rehabilitation) von Menschen mit COPD und stellte dabei national bislang kaum objektiv gemessene Daten vor.

Dr. Konrad Schultz zeigte stellvertretend für sein Forschungsteam die Ergebnisse der EPRA-Studie zu „Asthmakontrolle 3, 6 und 12 Monate nach stationärer pneumologischer Rehabilitation“ vor. Hiermit zeigte er, dass es auch in der nationalen Rehabilitationsforschung durchaus eine RCT-Studie geben kann, die weltweit einmalig ist und im Publikum für viel Zustimmung gesorgt hatte. Es war ein gutes Beispiel dafür, dass die Rehabilitation von 3-4 Wochen auch nachhaltig sehr gut wirken kann.

Diskussionsforum: Strategien zur Stärkung der Bewegungsförderung in der medizinischen Rehabilitation

Vorsitz: Prof. Klaus Pfeifer (Erlangen), Prof. Gorden Sudeck (Tübingen)

Dieses Thema am Mittwochnachmittag rundete das Kolloquium zum Thema Bewegungsförderung in der Rehabiliation und Nachhaltigkeit ab. Damit wurde dieses gesamtgesellschaftlich relevante Thema diskutiert und es wurden neue Impulse gegeben.

Bewegungsmangel ist mit zahlreichen Erkrankungen assoziiert, die einen hohen Stellenwert für die medizinisch-rehabilitative Versorgung einnehmen. Folgerichtig ist es ein wichtiges Ziel in der Rehabilitation, Menschen nachhaltig an körperliche und sportliche Aktivitäten heranzuführen und zu binden. Erkenntnisse aus einem bundesweiten Survey zur Bewegungstherapie in der medizinischen Rehabilitation haben zuletzt allerdings gezeigt, dass die Bewegungsförderung in der alltäglichen Praxis der Rehabilitationseinrichtungen eine recht unterschiedliche Bedeutung zu erfahren scheint. Für eine vielversprechende Therapiegestaltung mit dem Ziel der Bewegungsförderung scheinen verschiedene personale und organisatorische Rahmenbedingungen mitbestimmend zu sein, so dass konzeptionelle Weiterentwicklungen der Bewegungstherapie nicht selten mit Aspekten der Personalentwicklung (z. B. spezifische Qualifikationen, Sensibilisierung für die Thematik) sowie Organisationsentwicklung (u. a. Anpassung von Therapieprozessen) verbunden sein können, die nicht allein die therapeutische Arbeit von Bewegungstherapeutinnen und Bewegungstherapeuten betreffen. Vor diesem Hintergrund gab es ein Diskussionsforum, das durch verschiedene Impulsreferate zum einen den Blick auf die Empfehlungen für die Stärkung der Bewegungsförderung sowie deren Bedingungen aus der „Innensicht“ der Therapeutinnen und Therapeuten warf. Zum anderen wurden Impulse zu Fortbildungsbedarfen und -wegen sowie die Bewegungsförderung aus Sicht des übergreifenden Therapiemanagements gesetzt, um auf diese Weise die Diskussion über Möglichkeiten und Grenzen der Bewegungsförderung in der Rehabilitationspraxis anzuregen. Es wurde diskutiert, ob die erhöhten Umfänge der KTL-Leistungen in der Bewegungstherapie, zu einer Verbesserung der Nachhaltigkeit in der Bewegungsförderung führen. Kritisch wurde die Entwicklung seit der Bologna-Reform der Studiengänge angemerkt, insbesondere im Bereich der Sportwissenschaft. Dieser Prozess habe zwar zu einer Kostenminimierung durch Einstellungen von BA-Absolventen geführt, jedoch auch zu einem Qualitätsrückgang in der Bewegungstherapie. Prof. Gorden Sudeck und Prof. Klaus Pfeifer, die das Diskussionsforum leiteten, sahen noch viel Förderungsbedarf seitens der Kostenträger, um eine nachhaltigere Rehabilitation, insbesondere im Hinblick auf die Bewegungsförderung während und nach der Rehabilitation zu erreichen. Neue und gesamtstrategische Konzepte in den Kliniken zur „Verhaltensorientierten Bewegungstherapie“ sollten ausgebaut werden. Dazu müssten nicht nur die Patienten besser geschult werden, sondern auch Rahmenbedingungen zur besseren Qualifizierung des Personals geschaffen und interdisziplinär in den Kliniken unterstützt und umgesetzt werden.

Kontakt:
Dr. Oliver Klassen
oliver.klassen@sport.uni-goettingen.de

* Interessierten LeserInnen sei allerdings nahgebracht, dass bereits vor über 45 Jahren (!) das Thema der Arbeitstagung der Deutschen Vereinigung für die Rehabilitation Behinderter wie folgt lautete: „Der Sport in der Rehabilitation Behinderter“. Im Nachgang zu dieser Tagung schrieb Prof. Dr. Kurt-Alphons Jochheim: „Ist der Sport schon ganz allgemein ein unentbehrlicher gesundheitsfördernder Faktor in unserer Zeit und in der heutigen Gesellschaft geworden, so bedeutet die kontrollierte Anwendung solcher sportlichen Möglichkeiten nach den heutigen gesicherten Erkenntnissen um so mehr für den behinderten Menschen oft eine lebensnotwendige Rehabilitationshilfe.“ (Jochheim, 1972, Jahrbuch der Deutschen Vereindigung für die Rehabilitation Behinderter)