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Prähabilitatives Körperliches Training könnte die Wirksamkeit einer neoadjuvanten Chemotherapie bei Speiseröhrenkrebs verdoppeln

Aus über 700 klinischen Studien zur Wirksamkeit von Bewegung bei Krebs wissen wir, dass Bewegung für die Betroffenen nicht nur sicher ist, sondern auch effektiv zum Nebenwirkungsmanagement eingesetzt werden kann [1,2]. Darüber hinaus sind Sicherheit und Wirksamkeit nicht nur auf beispielsweise die medizinische Rehabilitation beschränkt, sondern konnten sich entlang der gesamten Krebstrajektorie, d. h. von Diagnosestellung bis hin zur Nachsorge, bewähren [3]. Es empfiehlt sich demnach, so früh wie möglich aktiv zu werden, um entlang des gesamten Weges von Bewegung zu profitieren. Welch enormes Potential die frühe Implementierung von Bewegung in die onkologische Versorgung haben könnte, wurde nun in einer im British Journal of Sports Medicine erschienenen Arbeit von Zylstra und Kollegen [4] demonstriert. Zylstra et al. rekrutierten insgesamt 41 Patienten mit Speiseröhrenkarzinom, wovon 21 der Interventions- und 20 der Kontrollgruppe zugewiesen wurden. Im Gegensatz zur ansonsten üblichen zufälligen Gruppenzuweisung (Randomisierung) erfolgte die Zuweisung hier anhand des Wohnortes der Patienten.

Die Intervention fand nämlich überwacht an einer spezifischen Trainingseinrichtung statt, weswegen nur jene Personen für die Interventionsgruppe in Frage kamen, welche auch in der Nähe der Trainingsinstitutionen wohnten. Die Patienten wurden unmittelbar nach der Diagnose in die Studie eingeschlossen und erhielten eine neoadjuvante Chemotherapie, d. h. eine Chemotherapie die dem operativen Eingriff vorgeschaltet ist. Neoadjuvante Therapien haben das Ziel, den Tumor zu verkleinern und so eine schonendere OP zu ermöglichen. Die Patienten der Interventionsgruppe unterzogen sich parallel zur Chemotherapie einer prähabilitativen Bewegungsmaßnahme, also einer Maßnahme mit dem Ziel, die Patienten vor der geplanten Tumoroperation für diesen chirurgischen Eingriff körperlich fit zu machen. Hierzu erhielten die Patienten der Interventionsgruppe ein spezifisches Trainingsprogramm durch einen spezialisierten Sport- und Bewegungstherapeuten. Das kombinierte Kraft und Ausdauertraining entsprechend der Bewegungsempfehlungen der Weltgesundheitsorganisation für Erwachsene [5] sollte bei moderater Intensität stattfinden. Die Intensität wurde anhand der modifizierten BORG-Skala (Range: 0-10) zwischen 4 und 5 verortet. Mehr zum Thema Prähabilitation kann hier im DVGS-Blog gefunden werden: https://bildung.dvgs.de/praehabilitation/
Primärer Endpunkt der Studie ist die Tumorregression.

Die Tumorregression wurde anhand der Tumour Regression Grade (TRG) nach Mandard et al. [6] quantifiziert. Dieser Score sagt aus, wie gut der Speiseröhrentumor auf die Chemotherapie angesprungen ist und wie viel Prozent des Ausgangsvolumens des Tumors nach der Therapie noch übrig ist. Die Klassifikationen von 1-3 bedeuten, dass weniger als 50 % des Tumors noch bestehen und werden in der Originalarbeit von Mandard und Kollegen [6] hinsichtlich ihrer Vorhersagekraft des erkrankungsfreien Überlebens hervorgehoben: „only tumor regression (i.e., TRG 1-3 versus TRG 4-5) remained a significant (P < 0.001) predictor of disease free survival“. Wobei mit den beiden niedrigsten TRG 1-2 eine noch bessere Prognose als mit TRG-3 einhergeht.

Nach Ende der neoadjuvanten Therapie konnten 75 % der Tumore der Interventionspatienten als TRG 1-3 kategorisiert werden. Im Vergleich hierzu schafften es lediglich 37 % der Kontrollpatienten in diese Kategorie. Schaut man nur TRG 1-2 an, waren es immerhin noch 35 % in der Interventionsgruppe und 7 % in der Kontrollgruppe. Neben der Tumorregression bietet der Artikel noch weitere sehr interessante Endpunkte. Beispielsweise wurde in der Interventionsgruppe eine reduzierte Inflammation und eine verbesserte Immunfunktion beobachtet. Darüber hinaus erhöhten die Patienten der Interventionsgruppe einerseits ihre Muskelmasse, konnten gleichzeitig aber auch ihre Fettmasse reduzieren. Im Gegensatz dazu zeigte sich in der Kontrollgruppe ein gegenteiliges Bild. Gerade bei Speiseröhrenkrebs mit einer Sarkopenieprävalenz von bis zu 75 % [7] sind dies wichtige Prädiktoren für das fernere Überleben [8]. Auch die postoperative Komplikationsrate liegt in der Interventionsgruppe mit 38 % vs. 58 % niedriger als in der Kontrollgruppe, dafür wurde in der Interventionsgruppe ein Todesfall verzeichnet, in der Kontrollgruppe keiner.

Trotz der vielversprechenden Ergebnisse besitzt das Paper auch einige Limitationen. Zunächst ist die Stichprobe mit 21 Teilnehmern in der Interventionsgruppe und 20 Teilnehmern in der Kontrollgruppe nicht sonderlich groß, was es unmöglich macht, die Effektgrößen präzise zu schätzen. Darüber hinaus fand keine randomisierte Gruppenzuweisung statt. Dies macht die Ergebnisse für Störvariablen anfällig. Da die Patienten anhand ihres Wohnortes den Gruppen zugewiesen wurden, könnten geographische Kontextfaktoren, welche die Kontrollprobanden von den Interventionsprobanden unterscheiden, einen Einfluss auf das Ergebnis haben. Dies hatten die Autoren aber anhand historischer Daten geprüft und keine Unterschiede zwischen diesen Kohorten identifizieren können. Auch die Patientencharakteristika der aktuellen Studie sehen relativ ausgewogen aus, d. h. die beiden Gruppen sind sich in Gesundheitszustand und Demografie relativ ähnlich.

Fazit: Die Arbeit von Zylstra und Kollegen stellt unseres Wissens die erste Arbeit dar, die in einem interventionellen Zwei-Gruppen-Design die Wirkung einer prähabilitativen Bewegungsmaßnahme direkt auf das Tumorwachstum untersuchte. Bislang liegen hierzu lediglich Daten aus dem Tierversuch vor [9] (Wie bereits hier auf dem DVGS-BLOG berichtet wurde: https://bildung.dvgs.de/chemotherapie-und-bewegung-zwei-partner-im-kampf-gegen-den-krebs/). Wie im Tierexperiment, konnte auch in dieser Arbeit der Effekt der Chemotherapie durch Bewegung in etwa verdoppelt werden. Die Studie bedarf einer dringenden Replikation in einem randomisierten Design mit größerer Stichprobe. Können sich diese vielversprechenden Daten bestätigen, könnte Bewegung im Kontext der Tumortherapie noch bedeutsamer sein, als bislang angenommen.

Weiterführende Informationen zur positiven Wirkung von Bewegung vor einer Operation finden Sie in unserem Factsheet Prähabilitation

Literatur
[1] Christensen JF, Simonsen C, Hojman P. Exercise training in cancer control and treatment. Comprehensive Physiology 2011;9:165-205
[2] Campbell KL, Winters-Stone KM, Wiskemann J, et al. Exercise guidelines for cancer survivors: consensus statement from international multidisciplinary roundtable. Medicine & Science in Sports & Exercise 2019;51:2375-2390
[3] Wiskemann J, Köppel M, Voland A, et al. Implementation von Sport-und Bewegungstherapie in die onkologische Routineversorgung. TumorDiagnostik & Therapie 2020;41:306-310
[4] Zylstra J, Whyte GP, Beckmann K, et al. Exercise prehabilitation during neoadjuvant chemotherapy may enhance tumour regression in oesophageal cancer: results from a prospective non-randomised trial [published online ahead of print, 2022 Feb. Br J Sports Med.
[5] WHO, 2015
[6] Mandard AM, Dalibard F, Mandard JC, et al. Pathologic assessment of tumor regression after preoperative chemoradiotherapy of esophageal carcinoma. Clinicopathologic correlations. Cancer. 1994;73(11):2680-2686.
[7] Boshier PR, Heneghan R, Markar SR, et al. Assessment of body composition and sarcopenia in patients with esophageal cancer: a systematic review and meta-analysis. Dis Esophagus. 2018;31(8):10.1093/dote/doy047.
[8] Huang DD, Wang SL, Zhuang CL, et al. Sarcopenia, as defined by low muscle mass, strength and physical performance, predicts complications after surgery for colorectal cancer. Colorectal Disease 2015;17(11):O256-O64.
[9] Betof AS, Lascola CD, Weitzel D, et al. Modulation of murine breast tumor vascularity, hypoxia and chemotherapeutic response by exercise. J Natl Cancer Inst. 2015; 107: doi: 10.1093/jnci/djv040.

Kontakt: Maximilian.koeppel@nct-heidelberg.de