2024 | 06 Psychosomatik
Wissenschaft
Depression und Bewegung – Differenzierte Psychopathologie braucht eine differenzierte Bewegungstherapie – Gerhard Huber
Evidenzbasierte Sport- und Bewegungsprogramme für Menschen mit depressiven Erkrankungen – Aktuelle Empfehlungen und Versorgungsinnovationen – Gorden Sudeck, David Victor Fiedler, Stephanie Rosenstiel, Stefan Peters
Journal Club
Ergebnisse aus dem ImPuls-Projekt – Maximilian Köppel
Praxis
„Bewegungsförderung braucht mehr als Projektitis und Kampagnen!“ – Inke Ruhe
Bewegungsbezogene Versorgung in der Psychiatrie und Psychosomatik – Angelika Baldus
Neues Lehrgangskonzept des DVGS zur Entspannungstherapie – Rene Streber, Martin Steinau
Editorial
Weiterer Wind in den Segeln für eine Etablierung von Sport- und Bewegungstherapien in der Versorgung bei psychischen Erkrankungen
Die Aktualisierung der Bewegungsempfehlungen der Weltgesundheitsorganisation WHO im Jahr 2020 hebt einen deutlichen Erkenntnisgewinn zu Wirkungen von körperlicher Aktivität auf psychische Gesundheit, Wohlbefinden und Lebensqualität hervor. Auf Ebene der wissenschaftlichen Evidenz wird somit immer deutlicher, welche biopsychosoziale Breite in den präventiven Potenzialen körperlicher und sportlicher Aktivitäten steckt und welche Wirkungen von sport- und bewegungstherapeutischen Interventionen in der Versorgung bei psychischen Erkrankungen zu erwarten ist. Dies ist eine sehr gute Nachricht, besonders in einer Zeit, in der psychische Erkrankungen, nicht erst seit der Covid-19-Pandemie, als Ursache für die globale und nationale Krankheitslast auf dem Vormarsch sind – und dies bereits ab dem Kindes- und Jugendalter.
Eine Stärkung der Bewegungsförderung erscheint daher über alle Altersgruppen hinweg dringend geboten. Darüber hinaus stellt sich zusehends die Aufgabe, sport- und bewegungstherapeutische Maßnahmen in der Versorgung bei psychischen Erkrankungen, allen voran bei depressiven Störungen, weiter auszubauen. Dadurch eröffnet sich die Möglichkeit den hier aktuell bestehenden und sich zuspitzenden Versorgungsengpass, zum Beispiel bei der ambulanten Psychotherapie, durch weitere wirksame Therapieoptionen zu verringern. Die gesundheitliche Versorgungslandschaft in Deutschland kann dabei auf ein starkes Fundament der Bewegungsversorgung aufbauen, welches bereits seit mehr als vier Jahrzehnten auf wissenschaftlichen Arbeiten, therapeutischer Qualifizierung und der Etablierung von bestimmten Versorgungsstrukturen gründet, z. B. in der medizinischen Rehabilitation oder der stationär-klinischen Versorgung von psychosomatischen und psychiatrischen Erkrankungen. Damit einher geht ein enormer Fundus an therapeutischen Praxiserfahrungen, wobei Hubertus Deimel und Gerhard Hölter in einem Editorial dieser Zeitschrift im Jahr 2007 noch konstatierten, dass die Wissenschaft diesen Praxiserfahrungen mit Blick auf psychosomatische Wirkungen von Sport- und Bewegungstherapien hinterherhinkt.
Vor diesem Hintergrund ist es erfreulich, dass sich der internationale Forschungsstand sehr dynamisch weiterentwickelt hat und auch im nationalen Bereich Versorgungsinnovationen in größer angelegten Forschungsprojekten evaluiert wurden, die bisherige Versorgungslücken anvisieren, welche etwa in der ambulanten Versorgung von Menschen mit psychischen und psychosomatischen Erkrankungen bestehen. Solche Projekte, die mitunter durch neue Fördermöglichkeiten durch den Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) ermöglicht werden, sind beispielhaft für den weiteren „Wind in den Segeln“ für die differenzierte Erforschung sowie die weitergehende Implementierung von Sport- und Bewegungstherapien im gesamten Spektrum relevanter Bereiche der Gesundheitsversorgung.
Die Beiträge in diesem Heft greifen diese aktuellen Entwicklungen auf. Sie reflektieren Entwicklungs- und Begründungslinien für Sport- und Bewegungstherapien im Bereich psychischer Erkrankungen, stellen aktuelle Versorgungsstrukturen sowie Verankerungen in Leitlinien und Positionspapieren zusammen und thematisieren aktuelle Versorgungsinnovationen, um weitergehende Herausforderungen für Sport- und Bewegungsprogramme und ihre biopsychosozialen Wirkungen zu beleuchten. Angesichts der möglichen Vielfalt sport- und bewegungstherapeutischer Inhalte, Methoden und Ausgestaltungen, ihrer jeweiligen Einbettung in individuelle und soziale Lebenssituationen und der notwendigen Berücksichtigung persönlicher Präferenzen, ist es zum einen positiv bemerkenswert, dass sich die Lücke zwischen therapeutischer Alltagsbeobachtung und wissenschaftlicher Evidenz weiter schließt. Zum anderen darf man gespannt sein, welche weiteren Erkenntnisse und welchen Nutzen für die Praxis bzw. die Patientinnen und Patienten zukünftige Wirksamkeits- und Implementierungsforschung erbringen wird.
Gorden Sudeck und Stefan Peters