2025 | 01 Bewegung und Long/Post-COVID

Wissenschaft
Bewegungs- und Sporttherapie in der Rehabilitation des Long-/Post-COVID-Syndroms unter besonderer Berücksichtigung neuropsychiatrischer Symptomatik – Georg Schick
Praxis
Rehabilitation beim Long-/Post-COVID-Syndrom: ein bewegungstherapeutisches Handlungskonzept – Maximilian Köppel, Uwe Schwan, Stefan Peters, Tilo Späth, Gerhard Huber
Empfehlungen zur Planung und Durchführung einer Bewegungsintervention für Kinder und Jugendliche mit Long COVID – Mara Bergelt, Katharina Eckert, Gabriele Gauß, Nora Bruns, Sven Benson, Ursula Felderhoff-Müser, Christian Dohna-Schwake, Maire Brasseler, Sarah-Christina Goretzki
Bericht zum Workshop: Fach- und Erfahrungsaustausch für onkologisch tätige Sport- und PhysiotherapeutInnen – Corinna Meyer-Schwickerath, Jean-Luc Paratte, Joachim Wiskemann
Bewegungstherapie beim Post-COVID-Syndrom – Umsetzung in der Rehabilitation – Judith Kleinschmidt, Alexa Kupferschmitt, Franziska Etzrodt, Volker Köllner
Editorial
Bewegungstherapie bei Post Covid-Syndrom – eine zu wenig beachtete Chance
Während die COVID-Pandemie für die meisten von uns der Vergangenheit angehört, leidet eine erhebliche Anzahl an Menschen in Deutschland weiterhin an den Folgen. Bei der großen Mehrheit der akut mit COVID-19 Infizierten heilt die Krankheit zwar in den ersten vier Wochen nach der Infektion aus, trotzdem sind weltweit bis zu 400 Millionen Menschen von einem Post COVID-Syndrom (PCS) betroffen. Prävalenzschätzung zum PCS reichen von etwa 5% bis 10% der Infizierten. Von diesen dürften wiederum ca. 5% – 10% so stark betroffen sein, dass längere Krankschreibungszeiten resultieren, die Lebensqualität deutlich beeinträchtigt ist oder sogar die Erwerbsfähigkeit gefährdet sein kann. Bei 50.000.000 Infizierten in Deutschland wären dies etwa 500.000 Menschen. Leider gibt es bisher keine genaueren Prävalenzzahlen für PCS in Deutschland. Auch wenn die Impfung das PCS-Risiko nach einer Infektion deutlich reduziert und die neueren Virusvarianten mit einem geringeren PCS-Risiko einhergehen, gibt es doch immer noch Neuerkrankungen – und eine erhebliche Zahl mehrjähriger chronischer PCS-Verläufe mit ungewissem Ausgang. Das PCS stellt also für das Gesundheits- und Sozialsystem sowie für die Gesellschaft insgesamt eine große Herausforderung dar und das wird auch in den nächsten Jahren so bleiben.
Die Weltgesundheitsorganisation definiert das Post-COVID-Syndrom als „das Fortbestehen oder die Entwicklung neuer Symptome drei Monate nach einer SARS-CoV-2-Infektion, wobei diese Symptome mindestens zwei Monate lang anhalten, ohne dass es eine andere Erklärung dafür gibt. Die Symptome müssen zu relevanten Einschränkungen der Funktionsfähigkeit im Alltag führen. Obwohl COVID-19 ursprünglich als Atemwegserkrankung eingeordnet wurde, können die PCS-Symptome von leichten Beeinträchtigungen bis hin zu schweren systemischen Erkrankungen reichen, wobei der Großteil der Patienten Symptome in mehreren Organsystemen aufweist, weshalb von einer Multisystemerkrankung gesprochen wird. Kernsymptome sind Fatigue / Erschöpfung, kognitive Störungen, Atemprobleme, verminderte körperliche Leistungsfähigkeit und chronische Schmerzen.
In Deutschland werden die Begriffe Long- und Post-Covid-Syndrom meist synonym benutzt, die diesbezügliche S1-Leitlinie, die auch lesenswerte Kapitel zu Bewegungstherapie und Rehabilitation enthält, hat daher den Titel „Long-/Post Covid“. Symptome, die in den ersten 4 Wochen nach einer akuten COVID-19-Infektion bestehen, werden noch dem Akutverlauf zugeordnet – tatsächlich ist die Mehrzahl der Betroffenen nach dieser Zeit symptomfrei. Bestehen die Symptome länger als 4 Wochen, kann von Long COVID gesprochen werden. Erst nach 12 Wochen ist das Zeitkriterium des PCS erfüllt (international inzwischen auch häufig als Post Covid-Condition bezeichnet). Tatsächlich ist in den ersten 12 Wochen immer noch mit einer guten Spontanprognose zu rechnen, was einem prolongierten Akutverlauf entspricht. Persistieren die Symptome darüber hinaus, muss mit einem längeren Verlauf gerechnet werden. Daher ist das 12-Wochen-Kriterium als sinnvoll anzusehen.
Bisher gibt es trotz erheblicher Forschungsanstrengungen noch keine evidenzbasierte medikamentöse Therapie des PCS. Erst kürzlich zeigte sich, dass das Präparat BC 007, in das viel Hoffnung gesetzt wurde, Placebo nicht überlegen ist. Inzwischen sind mehrere Medikamente, die bei anderen Krankheitsbildern wirken, zum off label use bei PCS zugelassen, hierbei handelt es sich aber nicht um eine kausale, sondern vor allem um symptomorientierte Therapie.
Es ist aber keineswegs so, dass es keine evidenzbasierten Behandlungsmöglichkeiten gibt! Die mit Abstand beste Evidenz in der Behandlung des PCS liegt tatsächlich für Sport- und Bewegungstherapie vor. Auch für kognitive Verhaltenstherapie gibt es zunehmend positive Studienergebnisse, die Evidenzlage bei der Bewegungstherapie ist aber deutlich breiter und zeigt, dass diese bei PCS effektiv und – im Gegensatz zum manchmal in den Medien verbreiteten Bild – auch sicher ist. Vor allem regelmäßiges und wohldosiertes Ausdauertraining kann nicht nur die körperliche Leistungsfähigkeit verbessern, sondern reduziert auch Angstsymptome und Depressivität. Außerdem wirkt regelmäßiges Ausdauertraining präventiv gegen die Entwicklung eines PCS. Es mehren sich zudem die Hinweise, dass Bewegungstherapie auch einen positiven Effekt auf die das PCS aufrechterhaltenden immunologischen, hämostaseologischen und psychologischen Faktoren hat, die das PCS aufrechterhalten – und somit kausal in das Krankheitsgeschehen eingreifen kann. Diese guten Nachrichten werden allerdings zu wenig gehört, weder von denjenigen, die Versorgungsstrukturen für PCS-Patienten organisieren, noch von den Bewegungstherapeutinnen und -therapeuten selbst, die sich bisher nur sehr zögerlich dieses Klientels annehmen. Es ist allerdings wichtig, mit PCS-Betroffenen gerade in der Trainingstherapie einige Dinge anders zu machen als man es von anderen Patientengruppen gewohnt ist.
Daher kommt dieses Themenheft der B & G genau zur richtigen Zeit. Im ersten Beitrag zum Themenschwerpunkt beschreiben M. Köppel et al. ein bewegungstherapeutisches Handlungskonzept für die Rehabilitation beim Post/Long-Covid-Syndrom. Ihr Beitrag bietet aber weit mehr als das: er fasst die bisherige Evidenz zur Bewegungstherapie beim PCS zusammen und informiert fundiert und praxisnah über Besonderheiten und mögliche Komplikationen wie PEM und die Abgrenzung zu einem schweren ME/CFS und stellt die wichtigsten Assessment-Instrumente vor. Es folgen praktische Hinweise für die bewegungstherapeutische Arbeit mit Patienten unterschiedlicher PCS-Schweregrade. Der folgende Artikel von J. Kleinschmidt et al. beschreibt die praktische Umsetzung dieses Konzepts in einer internistisch-psychosomatischen Rehabilitationsklinik. Dieser Beitrag berichtet nicht nur praktische Erfahrungen aus über drei Jahren Arbeit mit PCS-betroffenen, sondern stellt auch Daten zur Effektivität dieses Konzepts und seiner Akzeptanz bei den Betroffenen vor.
G. Schick widmet sich in seinem Beitrag den schwerer Betroffenen, bei denen besondere Achtsamkeit hinsichtlich einer möglichen Überforderung durch ein Trainingsprogramm geboten ist. Er stellt einen bewegungstherapeutischen Ansatz für belastungsvulnerable Patienten mit neurologischer/neuropsychiatrischer Symptomatik vor, bei dem Mind-Body-Exercise und weitere sanfte Methoden der bewussten Körperarbeit eine größere Rolle spielen.
Es ist kein Zufall, dass alle drei Arbeiten aus dem Kontext der Rehabilitation kommen – denn hier ist man mit der Nutzung bewegungstherapeutischer Ressourcen für PCS-Betroffene schon deutlich weiter als in den anderen Sektoren des Gesundheitswesens. Dies zeigt sich auch im Eckpunktepapier der DRV und der DGUV zur Rehabilitation bei PCS.
Vom PCS sind nicht nur Erwachsene, sondern auch Kinder und Jugendliche betroffen. M. Bergelt et al. stellen hier eine individualisierte, telemedizinisch durchgeführte Bewegungsintervention für Kinder und Jugendliche mit PCS vor, die am Universitätsklinikum Essen entwickelt wurde. Telemedizinische Ansätze sind beim PCS auch für Erwachsene von besonderer Bedeutung, weil es für schwer Betroffene teilweise nicht möglich ist, ambulante Interventionen zu erreichen und weil insgesamt der Bedarf an Bewegungsinterventionen so groß ist, dass er sich nur realistisch umsetzten lässt, wenn auch Online-Interventionen angeboten werden.
Abschließend stellen C. Meyer-Schwickerath et al. die Ergebnisse eines Fach- und Erfahrungsaustauschs für onkologisch tätige Sport- und PhysiotherapeutInnen vor.
Wir wünschen Ihnen viel Freude bei der Lektüre dieses spannenden Heftes.
G. Huber und V. Köllner