Sport nach Hüftgelenkersatz – Joggen verboten?
Der Einsatz eines künstlichen Hüftgelenks zählt heutzutage, auch bei Jüngeren, zu einem Routineeingriff. Alleine 2010 waren es in Deutschland 210.000 künstliche Hüftgelenke, die implantiert wurden [1].
Bewegung und Sport gehören bei bestehendem Gelenkersatz genauso zu einem gesunden Lebensstil, wie vor der Operation, da ist sich die Fachwelt einig. „Allerdings sollten die Patienten mit dem behandelnden Orthopäden besprechen, welche Sportarten geeignet sind“, rät ein Artikel im Ärzteblatt [2]. Es ist nicht die Frage nach dem „ob“, sondern nach dem „was“, an der sich die Geister scheiden. Was für eine Empfehlung werden Gesundheitsfachleute wie der oben angesprochene Orthopäde allerdings geben?
Strikte Ratschläge – Nein, danke
Gemäß der Untersuchung eines Forscherteams um den Rehabilitationspädagogen Prof. Bethge dürften zu strikte Ratschläge, die die Erfahrungen und Fähigkeiten des Einzelnen unzureichend beachten, jedenfalls eher nicht förderlich sein [3]. Bethge und sein KollegInnen hatten 15 Personen (davon 7 Frauen) interviewt, von denen 8 einen Hüft- und 7 einen Kniegelenkersatz erhalten hatten. Die ForscherInnen interessierte dabei z. B., welche Motive und Barrieren hinsichtlich der Aufnahme von sportlicher Aktivität bestanden und wie die Aufnahme sportlicher Aktivität nach der Rehabilitation geplant war.
Angst als Barriere
Barrieren bzgl. der körperlichen Aktivität zeigten sich bei Bethge et al. einige [3]. Unsicherheit und Angst spielen dabei eine sehr ernstzunehmende Rolle, wie auch schon andere Studien zeigten. Zum Beispiel wurde Bewegungsangst bei Personen nach Hüft-OP in verschiedenen Untersuchungen häufiger als Hinderungsgrund gegenüber intensiver sportlicher Betätigung angegeben als tatsächliche Schmerzen (zusammenfassend [4]). Eine dieser Untersuchungen wurde in Japan durchgeführt mit 608 Personen, welche eine Gelenkersatzoperation erhielten [5]. Die Forscher stellten fest, dass nach der OP 23 Personen regelmäßig joggten und 74 von den Nicht-JoggerInnen zumindest Interesse zeigten. Die Mehrheit dieser Interessierten (45) gab allerdings Angst als Grund an, warum sie nicht joggten. Wie berechtigt diese Angst ist, lässt sich nicht einfach beantworten.
Joggen, ja oder nein
Die Studienlage zu den Auswirkungen des Joggens auf ein künstliches Hüftgelenk ist dürftig [5] und auch die bereits angesprochenen empfehlenden ÄrztInnen dürften in dieser Sache nicht immer einig sein [6,7]. Zudem beziehen sich Letztere wohl weit häufiger auf ihre eigenen Erfahrungen und Präferenzen, als auf wissenschaftliche Evidenz [4]. Die AutorInnen der bereits genannten japanischen Untersuchung geben sich optimistisch, wenn sie sagen: „Wir glauben, dass mehr PatientInnen Sportarten mit einer gewissen Stoßbelastung, wie Joggen, ausüben würden, wenn wir deren Angst lindern und die Sportteilnahme empfehlen könnten“ ([5], S. 135). In ihrer Studie fanden sie jedenfalls keine negativen Auswirkungen des Joggens auf die Implantate. Die 23 regelmäßigen LäuferInnen (im Durchschnitt 57 Jahre alt) joggten ab dem sechsten Monat nach der Operation zwischen einem und sieben Mal pro Woche, jeweils zwischen 5 und 90 Minuten lang. Fünf von ihnen liefen regelmäßig mehr als 10 Kilometer pro Woche. Nach durchschnittlich 4,8 Jahren zeigte sich bei den Joggern keine verstärkte Lockerung der Implantate oder ein verstärkter Abrieb. Und auch hinsichtlich von Schmerzen gab es keinen negativen Effekt [5].
Ist das nun die Absolution für das Joggen mit Gelenkersatz? Dafür ist erstens eine einzelne Studie nicht ausreichend, zweitens gab es in dieser nur eine relativ geringe Anzahl an LäuferInnen und drittens ist der Nachbetrachtungszeitraum nicht sehr lange. Dennoch sollte die Studie eine Anregung für mutigere, bzw. „offensivere“ Empfehlungen sein. Simmel und Kollegen haben in einem Beitrag für die Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin bereits 2008 geschrieben:
„Verbesserte Implantate und fortgeschrittene Operationstechniken sowie die inzwischen größer gewordenen Erfahrungen hinsichtlich sportlicher Aktivität bei TEP-Patienten haben noch nicht zu offensiveren Empfehlungen der Operateure geführt. Die derzeit üblichen Empfehlungen müssen kontinuierlich überprüft und angepasst werden (…).“ ([6] S. 272)
Wenn es um Sportarten mit Stoßbelastung geht, werden häufig beeindruckende Zahlen genannt. Beispielsweise wird hinsichtlich der Belastung von „extremen Spitzen von bis zu 720% des Körpergewichts“ [8] berichtet. Oft wird daraus direkt abgeleitet, dass diese Sportarten daher eher nicht zu empfehlen sind. Die wissenschaftliche Befundlage zu den Risiken insgesamt ist ein wenig komplizierter. Meira und Zeni [4] kommen zu einem sehr gemischten Fazit. Dislokationen resultierten z. B. nicht häufiger aus Sportarten mit Stoßbelastung als aus anderer körperlicher Aktivität. Frakturen in einem solchen Zusammenhang sind nur wenige dokumentiert und in den speziellen Fällen ist nicht vollständig klar, ob sie überhaupt mit dem Gelenkersatz in Verbindung standen. Bei Lockerungen könnte es sogar sein, dass diese bei Sportarten mit relativ hoher Gelenkbelastung seltener auftreten. Eine höhere Abnutzung kann hingegen durch intensivere sportliche Betätigung entstehen, auch wenn hier ebenfalls die Evidenz gemischt ist. Meira und Zeni bemerken dazu zudem noch Folgendes: In einer Untersuchung hatten die TeilnehmerInnen aus der intensiven Aktivitätsgruppe zwar eine höhere Abnutzung als die weniger aktiven, aber sie gaben besser Werte hinsichtlich der Fähigkeiten des täglichen Lebens und der Wahrnehmung von Symptomen an. Meira und Zeni schließen daraus, dass es evtl. einen „trade-off“ zwischen Lebensqualität und Abnutzung des künstlichen Gelenks geben könnte[4].
BewegungstherapeutInnen gefordert
Strikte Empfehlungen ohne die Erfahrungen und den Trainingszustand des Einzelnen in den Blick zu nehmen erscheinen unangebracht. Laufen hat eine Vielzahl an Gesundheitsvorteilen und könnte auch mit Gelenkersatz unter entsprechenden Voraussetzungen (z. B. Vorerfahrung, Trainingszustand) empfohlen werden. Dann besteht auch die Chance, dass Gesundheitsfachleute gemeinsam mit dem/r PatientIn beispielsweise Strategien der propriozeptiven und muskulären Vorbereitung diskutieren (vgl. z. B. [4]). Es ist wahrscheinlich, dass sich hiermit bestehende Risiken weiter verringern lassen. Dies kann aber nur gelingen, wenn die Gesundheitsfachleute aktiv als PartnerInnen agieren und von kategorischen, strikten Ablehnungen Abstand nehmen.
Mit einer differenzierteren Sport- und Bewegungsberatung tut sich dann ein Feld auf, welches die zeitlichen Ressourcen und teilweise auch das Knowhow vieler ÄrztInnen sprengen dürfte. Wie ließe sich z. B. eine Sportart in ihrer Ausführung anpassen? Eine erfahrene Kletterin weiß um den Variantenreichtum ihrer Sportart, bei der ihr eine Vielzahl von Anpassungsmöglichkeiten gegeben ist. In Abstimmung mit den BewegungstherapeutInnen dürften sich Lösungen finden lassen.
Hier ist auch die Wissenschaft gefordert. Untersuchungen beschränken sich bisher häufig nur auf die Sportarten-Empfehlungen von ÄrztInnen/OperateurInnen. Wie es um die Empfehlungen anderer Gesundheitsfachleute bestellt ist bleibt oft unklar. Was die Sportarten und Bewegungsformen selbst angeht, so wird von Experten gegebenenfalls zu deutlich in einzelne Kategorien eingeteilt (z. B. existieren für das Klettern eben meist nicht mehrere Kategorien [6]).
Fazit
Das verwendete Zitat in der Einleitung zur Empfehlung des Orthopäden lässt sich im Zuge dessen wie folgt anpassen: Personen mit Gelenkersatz sollten mit dem/r behandelnden BewegungstherapeutIn und/oder OrthopädIn besprechen, welche Sportarten unter Einbezug der individuellen Voraussetzungen geeignet sind, bzw. wie Anpassungen getroffen werden können. Außerdem sollte durch die Gesundheitsfachleute die Begleitung und Vorbereitung auf Sport mit Gelenkersatz durch ein entsprechendes Training thematisiert werden, welches die/der PatientIn durchführen kann.
Außerordentlich wichtig erscheint die Vernetzung der Gesundheitsfachleute. Durch interdisziplinären Austausch könnten einheitliche Botschaften durch BewegungstherapeutInnen und ÄrztInnen vermittelt werden, wodurch Unsicherheiten bei den PatientInnen abgebaut werden dürften.
Kontakt: stefan.peters@dvgs.de
Literatur
- BVMed (2011). 2011-02: BVMed-Medienservice zum künstlichen Gelenkersatz in Deutschland. Abgerufen am 2.04.2015 unter http://www.bvmed.de/de/bvmed/positionspapiere-stellungnahmen/2011-02-bvmed-medienservice-zum-kuenstlichen-gelenkersatz-in-deutschland
- aerzteblatt.de (2013). Patienten sollten nach Gelenkersatz weiter Sport treiben. Abgerufen am 12.03.2015 unter http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/56317/Patienten-sollten-nach-Gelenkersatz-weiter-Sport-treiben
- Bethge, M., Köhler, L., Kiel, J., Thren, K. & Gutenbrunner, C. (2015). Sportliche Aktivität nach Gelenkersatz: Erfahrungen und Erwartungen älterer Rehabilitanden – Ergebnisse einer qualitativen Inhaltsanalyse leitfadengestützter Interviews. Rehabilitation, online first. DOI: 10.1055/s-0034-1394448
- Meira, E.P. & Zeni, J. (2014). Sports participation following total hip arthroplasty. The International Journal of Sports Physical Therapy, 9(6), 839-850.
- Abe, H., Sakai, T., Nishii, T., Takao, M., Nakamura, N. & Sugano, N. (2014). Jogging after total hip arthroplasty. The American Journal of Sports Medicine, 42(1), 131-137.
- Simmel, S., Hörterer, H. & Horstmann, T. (2008). Sport nach Hüft-Totalendoprothese – Expertenmeinung versus Patientenrealität. Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin, 59(11), 268-272.
- Vogel, L.A., Carotenuto, G., Basti, J.J. & Levine, W.N. (2011). Physical activity after total joint athroplasty. Sports health, 3(5), 441-450.
- Majewski, M., Widmer, K.H., Pfister, A.J. & Friederich, N.F. (2014). Sports and total hip Arthroplasty – A contradiction in terms? Analysis with a minimum follow-up of ten years. Sports Orthopaedics and Traumatology, 30, 359-365.