Blogreihe: Vier Axiome der Bewegungsförderung und Bewegungstherapie – Axiom 2
Die technische, kulturelle und gesellschaftliche Entwicklung hat den Menschen von der Notwendigkeit der regelmäßigen körperlichen Aktivität entkoppelt.
Für unsere Vorfahren war körperliche Aktivität notwendig um an Nahrung zu gelangen, sei es bei den Neanderthalern per Jagd oder zum späteren Zeitpunkt der Menschheit für den Anbau von Lebensmitteln. Dies hat sich in den vergangenen 100 Jahren erst langsam und dann immer schneller verändert. Bis vor weniger als 2000 Jahren waren regelmäßige Mahlzeiten die Ausnahme und regelmäßige körperliche Aktivität die Regel. Unser heutiger Lebensstil hat sich komplett verändert, ohne dass sich Gene oder Gensequenzen umfassend geändert hätten. In einer Welt, die wir uns geschaffen haben, aber für die wir nicht geschaffen sind, müssen wir den Mangel an Bewegung kompensieren.
Fasst man die Ergebnisse der „evolutionären Bewegungswissenschaft“ zusammen [1], so ermöglicht erst der aufrechte Gang mit höherem Energieverbrauch die intellektuelle Entwicklung, hat aber für uns heute einige Nachteile:
- Unsere Stoffwechsel ist immer noch eher auf längere Hungerphasen im Wechsel mit Nahrungsüberfluss geprägt (“feast & famine“). Wir haben die Hungerphasen abgeschafft, Übergewicht ist die Folge und Intervallfasten ein oft vergeblicher Versuch, dies wieder umzudrehen.
- Für mehr 99, 9 % der Menschheitsgeschichte war es wichtig, Phasen des Nahrungsüberflusses zu nutzen. Die Speicherfähigkeit für Energie in Form von Körperfett war ein wesentlicher Überlebensvorteil, heute eher nicht mehr.
- Wie ober dargestellt, war körperliche Inaktivität und Schonung für über hunderttausende von Jahren eine extrem sinnvolle Strategie, um begrenzte Energie zu sparen.
- Es war sehr sinnvoll, immer dann zu essen, sobald etwas zur Verfügung stand. Wählerische Neandertaler starben sehr früh, klarer Selektionsnachteil!
Exemplarische für diesen Wandel ist die Dominanz des sitzenden Lebensstils. Es kann davon ausgegangen werden, dass es in der Geschichte der Menschheit noch keine Phase gab, in der die Mensch so viele Zeit sitzend zubringen. Zahlreiche Untersuchen belegen zum einen den hohen Anteil des Sitzens im Tagesverlauf, zum anderen zeigen sich die negativen Folgen und damit auch einen klarer Zusammenhang mit Mortalität und Morbidität. [2, 3, 4] Umgekehrt bringt die isotemporale Substitution der Sitzzeit mit einem extrem niedrigen Energieverbrauch durch aktive Bewegung mit hohem Energieverbrauch pro Stunde eine Risikoreduktion um 11- 31% für fünf chronische Erkrankungen (z. B. Diabetes, Depression [5].
Allerdings ist es durchaus möglich, die Segnungen der modernen Technologien, z. B. durch Aktivitätstracker, dafür zu nutzen, die fatale Spirale der körperlichen Inaktivität umzudrehen. Es wird aber gezielter strategischer Interventionen bedürfen, um diese digitale Unterstützung in Verbindung mit geeigneten Bewegungsangeboten wirksam werden zu lassen.
Literatur:
[1] Chakravarthy M V, Booth F W. Eating, exercise, and “thrifty” genotypes: connecting the dots toward an evolutionary understanding of modern chronic diseases. Journal of applied physiology 2004; 96(1): 3-10.
[2] Tremblay M S, Colley R C, Saunders T J et al. Physiological and health implications of a sedentary lifestyle. Applied physiology, nutrition, and metabolism 2010; 35(6): 725-740.
[3] Huber G, Köppel M. Analyse der Sitzzeiten von Kindern und Jugendlichen zwischen 4 und 20 Jahren. DZSM 2017; (04): 101–106
[4] Martins L C G, Lopes M V D O, Diniz C M et al. The factors related to a sedentary lifestyle: A meta‐analysis review. Journal of Advanced Nursing 2021; 77(3): 1188-1205.
[5] Cao Z, Xu C, Zhang P et al. Associations of sedentary time and physical activity with adverse health conditions: Outcome-wide analyses using isotemporal substitution model. EClinicalMedicine 2022; 48.