Blogreihe: Vier Axiome der Bewegungsförderung und Bewegungstherapie – Axiom 4
Bewegungsförderung als Therapie: Sport-/Bewegungstherapie
Die Idee einer Bewegungstherapie auf der Grundlage sportwissenschaftlicher, trainingswissenschaftlicher und pädagogisch- psychologischer Erkenntnisse ist insbesondere in der rehabilitativen Versorgung auch recht gut etabliert. Sogar so gut, dass daraus durch die Vielfalt von Interventionsformen, Indikationen und Versuchen, den biopsychosozialen Anspruch der Sport/Bewegungstherapie durch Integration von nicht bewegungsbezogenen Faktoren einzulösen sowie Übernahmeversuche durch Professionen ohne bewegungsspezifische Qualifikation eine erhebliche Unübersichtlichkeit entstanden ist.
Trotz dieser Vielfalt ist es klar, dass die gesundheitswirksamen Potentiale der körperlichen Aktivität keinesfalls ausgeschöpft sind. Dies bezieht sich zum einen auf uns selbst in der inhaltlichen Gestaltung, Bewegungstherapie ist so viel mehr als Kraft- oder Ausdauertraining. Zum anderen bezieht sich diese Aussage auch auf die noch sehr limitierte Nutzung innerhalb des Gesundheitssystems. Um diese Unübersichtlichkeit zu entwirren und für Klarheit zu schaffen hat Prof. Dr. Gerhard Huber ein Model entwickelt, dass helfen soll, bewegungstherapeutische Interventionen zu
- beschreiben
- einzuordnen
- optimieren
- erklären
- und Prognosen zum Outcome zu erstellen
Das BOXEN MODELL der Sport/Bewegungstherapie
Bereits vor 20 Jahren wurde in der gesundheitsbezogenen Evaluationsforschung die Konzeption der Datenboxen entwickelt [1, 2], wobei vor allem eine wissenschaftsbezogene Verwendung adressiert wurde. Die grundsätzliche Idee der Boxen, die hier nur skizziert werden kann, lässt sich aber erweitern und nicht nur mit Daten im engeren wissenschaftlichen Sinn befüllen, sondern auch für die oben genannten Ziele benutzen, zumal dazu vier Boxen genügen.
- Prädiktorenbox
Ausgangspunkt jeder bewegungstherapeutischen Intervention müssen die Prädiktoren sein. Die aus der evidenzbasierten Medizin bekannten Trias von Evidenz, Patientenmerkmalen und der Therapeutenexpertise kennzeichnen die wichtigsten Variablen, mit denen die Box befüllt werden sollte. Je differenzierter das jeweilige Setting und die Kontextfaktoren erfasst werden, desto besser die Planungsgrundlage. - Interventionsbox
Eine ähnlich große Anzahl von Variablen, die die Intervention kennzeichnen füllt die Interventionsbox. Dazu gehören u.a. Setting, Qualifikation des Therapeuten, Art und Umfang der Intervention, Supervision und digitale Begleitung. - Wirkmechanismenbox
Prädiktoren bestimmen die Interventionen und die Interventionen bestimmen die zu adressierenden Wirkmechanismen. Diese finden sich ausreichend beschrieben in der Literatur und in den obigen Abschnitten. Insbesondere die gezielte Ansteuerung der Ausschüttung von Exerkinen und anderer Mechanismen wird die Bewegungstherapie bald aus der ungenauen Dichotomie von Kraft und Ausdauer befreien. - Effektbox
Es ist trivial, aber deshalb nicht weniger richtig: Wirkmechanismen und ihre Umsetzung bestimmen die erzielten Effekte. Während in der Logik der von Pharmastudien geprägten Evidenzforschung klare und eindeutige Endpunkte und ein definierter Outcome gefordert sind, ernten wir in der Bewegungstherapie oft ein Bündel von Effekten. Diese löst den biopsychosozialen Anspruch zwar sehr gut eint, stiftet aber leider in der Medizin oft Verwirrung.
Zur weitere Etablierung und Emanzipation der Bewegungstherapie im System der Gesundheitsversorgung ist es dringend notwendig, die durchgeführten Interventionen noch besser zu begründen, zu beschrieben und die Effekte zu erfassen. Das hier vorgestellte Modell ist sicher geeignet, Inhalte und Methoden besser zu kommunizieren und uns von Formulierungen wie „… ein Krafttraining wurde durchgeführt, die Teilnehmer führten ein Ausdauerprogramm durch…“ endgültig zu verabschieden. Ausgehend von der ursprünglichen Forschungsorientierung dieses Boxenmodells ist es natürlich für ebensolche Zwecke und damit auch zur weiteren Legitimation der Bewegungstherapie geeignet.
Literatur:
[1] Wittmann W W. Evaluationsforschung: Aufgaben, Probleme und Anwendungen. 10. Aufl. Springer-Verlag; 2013.
[2] Wittmann W W, Nübling R, Schmidt, J. Evaluationsforschung und Programmevaluation im Gesundheitswesen. Zeitschrift für Evaluation 12002; (1): 39-60.