DVGS Blog

Krämpfe: Jeder kennt sie, fast jeder hatte sie und doch sind sie nur schlecht erforscht

Was sind Muskelkrämpfe und wer bekommt sie?

kraempfe kraempfe

Ein Muskelkrampf bezeichnet die plötzliche, unwillkürliche und schmerzhafte Kontraktion eines Muskels oder eines Teils eines Muskels und kann von wenigen Sekunden bis zu einigen Minuten andauern [1]. Häufig treten Muskelkrämpfe nach erschöpfender, physischer Belastung (z.B. nach einem Marathon), während der Schwangerschaft oder im Zusammenhang mit Neuropathien, Störungen der Motoneuronen und metabolischen Erkrankungen auf. Muskelkrämpfe bekommen aber auch gesunde Menschen ohne Krankheitsgeschichte und in ausgeruhtem Zustand, insbesondere im Schlaf [2]. Auch scheint ein positiver Zusammenhang von Krampfwahrscheinlichkeit und Lebensalter zu existieren, so berichten 40% von 86 befragten Menschen im Alter von über 65 Jahren über 3 mal pro Woche an Krämpfen zu leiden [3].  Am häufigsten treten Krämpfe in der Muskulatur der unteren Extremität, allen voran im M. triceps surae und der Fußmuskulatur, auf [2].

Welche Ursachen von Muskelkrämpfen werden diskutiert?

Wodurch Muskelkrämpfe entstehen ist bislang noch nicht eindeutig geklärt. Dies ist insbesondere darauf zurückzuführen, dass Krämpfe durch ihr spontanes Auftreten experimentell nur schwierig zu untersuchen sind. Das momentan plausibelste und empirisch am besten gestützte Erklärungsmodell besagt, dass Muskelkrämpfe durch Anomalien der neuromuskulären Kontrolle durch die Alphamotoneurone ausgelöst werden. Elektromyographische Untersuchungen konnten beispielsweise zeigen, dass Krämpfe mit einer erhöhten Feuerungsrate der Alphamotoneuronen und einer Reduzierung des, den Krämpfen entgegenwirkenden, inhibitorischen Feedbacks durch die Golgi-Sehnenorgane (GSO) einhergeht [4]. Den Einfluss der GSO könnte zudem erklären, weswegen Krämpfe lediglich bei Annäherung von Muskelansatz und -ursprung entstehen können, da die GSO hierbei so gut wie nicht aktiviert sind. Ergänzend hierzu konnten Sulzer und Kollegen in einer prospektiven Untersuchung [5] von 20 Ironman-Triathleten (11 Sportler mit Krämpfen nach der Belastung,  9 Athleten ohne Krämpfe nach der Belastung) sogar im ruhenden Muskel der von Krämpfen geplagten Athleten erhöhte Feuerungsraten der Alphamotoneuronen feststellen. Für den zentralnervösen Ursprung von Krämpfen spricht zudem, dass die elektrischen Charakteristika der Aktionspotentiale während eines Krampfes große Ähnlichkeit mit den normalen, vom Alphamotoneuron ausgehenden Aktionspotenzialen willkürlicher Skelettmuskelkontraktion besitzen.
Die gängige Dehydrierung-/Elektrolytenmangeltheorie wurde, zumindest für belastungsinduzierte Muskelkrämpfe, weitgehend verworfen. Hierzu konnte ebenfalls von Sulzer et al. [5] beobachtet werden, dass Triathleten, die nach der Belastung über Krämpfe klagten, sich weder in der Elektrolytenkonzentration, noch hinsichtlich des Wasserverlustes, von der Kontrollgruppe die nicht unter Krämpfen litt, unterschieden. Ferner zeigten die Athleten lediglich eine schwache Dehydrierung von 4-5% in beiden Gruppen. Hierzu muss angemerkt werden, dass die Assoziation von Krämpfen und Dehydration aus Korrelationsstudien stammt, innerhalb derer beobachtet wurde, dass Personen die beruflich hohen physischen Belastungen und Hitze ausgesetzt waren, mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Krämpfen neigen. Dieser Zusammenhang konnte jedoch bei physischer Belastung prinzipiell auch ohne Hitze und Wasserverlust beobachtet werden. Demzufolge ist eher anzunehmen, dass es sich hierbei um eine Scheinkorrelation handelt, wonach die Krampfhäufigkeit wie auch die Dehydrierung auf die Muskelermüdung zurückzuführen sind. Anders sieht es bei Elektrolytenmangel aus, der z.B. durch eine Nierenerkrankung ausgelöst wird. Hier kann beispielsweise ein manifester Natriummangel tatsächlich Krämpfe bedingen [1].

Prävention und Therapie

Maßnahmen mit deren Hilfe Krämpfen vorgebeugt werden kann, werden viel diskutiert. Bislang liegen hierzu allerdings nur Informationen auf sehr niedrigem Evidenzlevel vor. Unbestritten ist die deutliche Wirkung statischen, passiven Dehnens im akuten Krampffall. Inwieweit das Dehnen jedoch auch präventiv wirksam ist, bleibt weiterhin ungeklärt. Eines der wenigen Beispiele für die präventive Wirkung des Dehnens stammt von Daniell und Kollegen [6]. Hier wurden die 44 an nächtlichen Krämpfen leidenden Studienteilnehmer dazu angehalten, dreimal täglich die Wadenmuskulatur zu dehnen. Dies führte zu einem deutlichen Rückgang der Krampfhäufigkeit, jedoch muss berücksichtigt werden, dass in der Studie keine Kontrollgruppe vorlag. Zwar wird angenommen, dass durch ein regelmäßiges Dehntraining die GSO stimuliert werden, was zu einer verbesserten afferenten Reflexhemmung gegenüber dem Alpha-Motoneuron führt, noch fehlt es jedoch an Daten, mit denen sich diese Hypothese bestätigen ließe.        
Horns et al. [7] zeigten zumindest deskriptiv, dass schwangere Frauen mit aktivem Lebensstil eine um knapp 30% niedrigere Krampfhäufigkeit in der Beinmuskulatur besitzen, als schwangere Frauen mit inaktiven Lebensstil (die statistische Signifikanz wurde verfehlt). Eine differenzierte Diskussion der existierenden Evidenz zur Prävention von Muskelkrämpfen wird in einem aktuellen Review von Nelson et al. [8] geführt. Die Autoren geben allerdings auch an, dass bislang keine eindeutige Evidenz aus qualitativ hochwertigen Studien zu diesem Thema vorliegt. Zum einen wird spekuliert, ob die Beseitigung muskulärer Dysbalancen nicht einen wichtigen Schritt zur Reduktion von Muskelkrämpfen darstellt. Hierzu konnten Wagner et al. [9] in einer Einzelfallstudie durch ein gezieltes Training des M. glutaeus maximus, als Synergist der ischiocruralen Muskulatur, die Krampfwahrscheinlichkeit der Letzteren wesentlich reduzieren. Wegen der engen Assoziation von Tendopathien und Krämpfen wird von den Autoren zudem überlegt, ob exzentrisches Widerstandstraining nicht ebenfalls eine effektive Präventionsmaßnahme darstellen könnte, wie es sich im Fall der Tendopathien bereits bewährt hat. Gegebenfalls geht durch die charakteristische Belastung mit exzentrischem Krafttraining auch eine besondere Stimulation der GSO einher. Eine Verbesserung der neuromuskulären Koordination durch Training von Dehnungs-Verkürzungszyklen im Sinne eines Reaktivkrafttrainings, böte ebenfalls eine zumindest theoretisch nachvollziehbare Präventionsstrategie. Gerade im Fall nächtlicher Krämpfe könnte zudem das Tragen von Knöchelbandagen sinnvoll sein, welche die Annäherung von Ursprung und Ansatz der Wadenmuskulatur verhindern [2].

Fazit

Es lässt sich festhalten, dass es insgesamt nur sehr wenig eindeutiges Wissen über die Ursachen und insbesondere die Prävention von Muskelkrämpfen gibt. Ebenfalls bleibt ungeklärt, inwieweit die Erkenntnisse im Fall belastungsinduzierter Muskelkrämpfe auch auf Muskelkrämpfe übertragbar sind, welche mit neuronalen oder metabolischen Pathologien in Verbindung stehen. Trotz der dürftigen Evidenzlage kann körperlicher Aktivität unter Vorbehalt ein Potential in der Verhinderung von Krämpfen zugesprochen werden, allein schon durch die Verbesserung der Ermüdungsresistenz der Skelettmuskulatur. Welche Art der Bewegung letztlich mit den größten Effekten einhergeht, bleibt jedoch unklar, theoretisch sind allerdings Trainingsformen zu bevorzugen, welche auch die GSO ansprechen (wie zum Beispiel exzentrisches Krafttraining, Training unter Ausnutzung von Dehnungsverkürzungszyklen und dynamisch wie statisches Dehnen).

Literatur

  1. Minetto MA, Holobar A, Botter A, Farina D. Origin and development of muscle cramps. Exercise and sport sciences reviews 2013;41:3-10
  2. Miller TM, Layzer RB. Muscle cramps. Muscle & nerve 2005;32:431-442
  3. Naylor JR, Young JB. A general population survey of rest cramps. Age and ageing 1994;23:418-420
  4. Schwellnus M. Cause of exercise associated muscle cramps (EAMC)—altered neuromuscular control, dehydration or electrolyte depletion? British journal of sports medicine 2009;43:401-408
  5. Sulzer NU, Schwellnus MP, Noakes TD. Serum electrolytes in Ironman triathletes with exercise-associated muscle cramping. Medicine and science in sports and exercise 2005;37:1081-1085
  6. Daniell H. Simple cure for nocturnal leg cramps. The New England journal of medicine 1979;301:216-216
  7. Horns PN, Ratcliffe LP, Leggett JC, Swanson MS. Pregnancy outcomes among active and sedentary primiparous women. Journal of Obstetric, Gynecologic, & Neonatal Nursing 1996;25:49-54
  8. Nelson NL, Churilla JR. A narrative review of exercise‐associated muscle cramps: Factors that contribute to neuromuscular fatigue and management implications. Muscle & nerve 2016;54:177-185
  9. Wagner T, Behnia N, Ancheta W-KL, et al. Strengthening and neuromuscular reeducation of the gluteus maximus in a triathlete with exercise-associated cramping of the hamstrings. journal of orthopaedic & sports physical therapy 2010;40:112-119

Maximilian Köppel Institut für Sport und Sportwissenschaft Abteilung: Prävention und Rehabilitation Im Neuenheimer Feld 700 69120 HeidelbergMaximilian Köppel Institut für Sport und Sportwissenschaft Abteilung: Prävention und Rehabilitation Im Neuenheimer Feld 700 69120 Heidelberg
Maximilian Köppel
Institut für Sport und Sportwissenschaft
Abteilung: Prävention und Rehabilitation
Im Neuenheimer Feld 700