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Metabolisches Syndrom: Körperliche Aktivität für Herz und Kreislauf


Infografik Bewegungspyramide, Copyright DVGSInfografik Bewegungspyramide, Copyright DVGS

Die Prävalenz von Übergewicht und Adipositas ist in den vergangenen Jahren weltweit und auch in Deutschland kontinuierlich gestiegen. Dies ist umso problematischer, als der Zusammenhang zwischen schwerem Übergewicht und der Manifestation eines metabolischen Syndroms gut belegt ist. Auch die Korrelation von Bluthochdruck und metabolischen Syndrom ist hinlänglich bekannt. Anlässlich des Europäischen Adipositas Tags am 15.05.2021 und des Welt-Hypertonie Tags am 17.05.2021 hat der Deutsche Verband für Gesundheitssport und Sporttherapie (DVGS) mit den beiden Experten Professor Gerhard Huber und Uwe Schwan über die Bedeutung von körperlicher Aktivität für Prävention und Therapie des metabolischen Syndroms gesprochen.

Professor Gerhard Huber ist Sportwissenschaftler und hat am Institut für Sport und Sportwissenschaft der Universität Heidelberg gearbeitet. Als Autor hat er zahlreiche Fachbücher und mehr als 250 Veröffentlichungen zu den unterschiedlichsten sportwissenschaftlichen Themen verfasst. Der Dipl.-Sportlehrer Uwe Schwan arbeitet als Dipl.-Sportlehrer an der Rehaklinik Heidelberg Königstuhl, die u.a. auf Herz-, Kreislauf- und Gefäßerkrankungen spezialisiert ist. Darüber hinaus ist er Lehrbeauftragter für Sporttherapie bei inneren Erkrankungen am Sportinstitut des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT).

DVGS: Für das metabolische Syndrom ist ein Bündel aus Risikofaktoren verantwortlich. Welche sind das und warum sind sie eine Gefahr für Herz und Kreislauf?

Uwe Schwan: Das metabolische Syndrom steht für die gemeinsam auftretenden Risikofaktoren Hypertonie, Fettstoffwechselstörung (hohe Triglyzeride und hohe LDL-Cholesterin und niedriges HDL-Cholesterin), Übergewicht (insbesondere im Bauchraum) und Blutzucker-Fehlregulation. Die Folgen sind ein beschleunigter Prozess der Arteriosklerose und damit ein höheres Risiko, frühzeitig eine Koronare Herzerkrankung, eine periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) oder Diabetes mellitus Typ 2 zu bekommen. Viele meiner Patienten mit einer koronaren Herzerkrankung (KHK) weisen eine Kombination aus den o.g. Faktoren auf.

DVGS: Könnte man sagen, dass unser Lebensstil das metabolische Syndrom verursacht? Und welche weiteren Faktoren spielen hier eine Rolle?

Uwe Schwan: Ganz einfach: 1. hyperkalorische Kost mit zu hohem Kohlenhydratanteil und geringer Nährstoffdichte, 2. Bewegungsmangel und 3. übermäßiger Alkoholkonsum. Und das hat eindeutig mit unserem Verhalten zu tun. Darüber hinaus werden eine genetische Veranlagung und krankmachende psychosoziale Bedingungen als Risikofaktoren diskutiert.

DVGS: Welche Rolle hat körperliche Aktivität beim metabolischen Syndrom sowohl in der Prävention als auch in der Therapie?

Prof. Gerhard Huber: Sie spielt neben der Ernährungsumstellung die Hauptrolle.

Uwe Schwan: Über das regelmäßige körperliche Training lässt sich eine Reihe von Stoffwechselprodukten aufbauen, die im Endeffekt das Endothel (Gefäßinnenhaut) stabilisieren, schützen und damit den Prozess der Arteriosklerose verlangsamen. Sie wirken zusätzlich positiv auf das Immunsystem und auf die Entzündungsparameter im Blut. Die positive Wirkung der körperlichen Aktivität beruht also auf der Summe von vielen Effekten des Energiestoffwechsels, des Immunsystems, des Hormonsystems, des sympathischen Nervensystems und der Regulation des Gefäßtonus.

DVGS: Lässt sich durch Sport der Blutdruck nachhaltig senken und sind Ausdauer- oder Krafttraining hierbei gleichermaßen wirksam? Was raten Sie Patienten? Wie sähe ein Bewegungsprogramm für Hypertoniker aus?

Uwe Schwan: Das Ausmaß der Blutdrucksenkung durch Ausdauersport liegt bei 5–10 mmHg und bis zu 7 mmHg durch Krafttraining. Das klingt zunächst wenig, aber eine Senkung um 10 mmHg reduziert das Schlaganfall-Risiko um die Hälfte. Studien zeigen, dass das körperliche Training eher den systolischen Blutdruck und Entspannungsverfahren/Meditation eher den diastolischen Blutdruck senkt. Beide Werte müssen aber in den Normbereich, also unter 140/90 mmHG.
Die Intensität des Trainingsprogramms richtet sich nach der Blutdruckreaktion unter körperlicher Belastung. Dazu braucht man also erstmal ein Belastungs-EKG. Die Sportarten der Wahl sind Power-Walking, Nordic Walking oder Joggen in der Ebene, weil bei dieser Bewegungsform der arterielle Mitteldruck am geringsten ansteigt. Das Training kann auch auf einem Laufband erfolgen.

DVGS: Wieso kann Bewegung die Blutzuckerwerte beeinflussen? Gibt es wissenschaftliche Evidenz dafür, dass körperliche Aktivität bei Diabetes mellitus Typ 2 wirksam ist? Wie sieht ein entsprechendes Training aus und worauf müssen Diabetiker bei körperlicher Aktivität besonders achten?

Prof. Gerhard Huber: Egal welche Art von Bewegung wir durchführen, diese verursacht immer einen Energieverbrauch in der Muskulatur. Diese Energie wird zunächst hauptsächlich durch das Glykogen, die gespeicherte Form der Glukose, im Muskel abgedeckt, mit zunehmender Dauer werden jedoch Blutglukose und freie Fettsäuren als Energielieferanten in dem Maße wichtiger, wie das Muskelglykogen zur Neige geht. Die wissenschaftliche Evidenz ist dementsprechend erdrückend. Bereits 1916 beschrieb und belegte der „Diabetespabst“ Elliott Proctor Joslin die segensreiche Wirkung von Sport bei Diabetes in seinem Buch „The Treatment of Diabetes Mellitus“. Seither sind Tausende von Studien erschienen, die belegen, dass man dem Diabetes tatsächlich davon laufen kann. Jede Form der körperlichen Aktivität hat Auswirkungen auf den Blutzuckerspiegel. Benutzt man die sogenannten FITT-Kriterien, so gelten folgende Empfehlungen:

  • Frequenz: Spätestens jeden zweiten Tag körperlich aktiv sein. Die unmittelbare positive Wirkung hält maximal 48 Stunden, der Trainingseffekt bleibt.
  • Intensität: Es kommt vor allem auf den Umfang der eingesetzten Muskelmasse an. Ob sie dies intensiv und kurz (z. B High Intensity Training) oder eher weniger intensiv und länger machen (z. B. Joggen) ist Geschmackssache.
  • Time: Siehe oben: je länger, desto besser.
  • Type: Siehe oben: je mehr Muskulatur eingesetzt wird, desto besser.

Entscheidend ist vielmehr, dass Sie es tun, als was Sie tun!

DVGS: Übergewicht ist ein maßgeblicher Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, das wird insbesondere dem Bauchfett nachgesagt. Gibt es hierfür wissenschaftliche Belege und gibt es gezielte Trainingsprogramme, die sich auf das Bauchfett auswirken?

Prof. Gerhard Huber: Es gibt keine Belege dafür, dass mit Übungen gezielt abdominales Fett abgebaut werden kann. Grundsätzlich müssen Sie die gesamte Energiebilanz verändern, also mehr Energie verbrauchen als Sie zuführen. Sit Ups bauen kein Bauchfett ab, aber Bauchmuskulatur auf. Dies sieht man aber leider erst dann, wenn das Bauchfett weg ist.

DVGS: Welche Sportarten eignen sich besonders für Adipöse?

Prof. Gerhard Huber: Einzelne Sportarten zu empfehlen, kommt gleich nach der Empfehlung eine Diät zu machen, und zwar auf der Liste der unsinnigen, weil unwirksamen Ratschläge. Wir müssen die Energiebilanz verändern, dafür gibt es in unserer Gesellschaft sehr viele Möglichkeiten. Es wäre nicht klug, diese auf bestimmte Sportarten zu reduzieren.

DVGS: Eine Lebensstilumstellung mit herzgesunder Ernährung und mehr körperlicher Aktivität ist nicht leicht und viele Patienten scheitern. Welche Möglichkeiten sehen Sie, die Motivation der Betroffenen zu erhöhen. Welche Faktoren sind entscheidend dafür, dass die Umstellung nachhaltig ist.

Prof. Gerhard Huber: Bei der Frage, wie man Menschen in Bewegung bringt, hat es sich bewährt, auf zwei Ansätze zurückzugreifen, durch deren Verbindung sich die langfristige und nachhaltige Bindung an körperliche Aktivität deutlich verbessern lässt:

  1. Effektwissen
    Menschen möchten wissen, warum sie sich bewegen sollen und welches Ergebnis sie davon erwarten können.
  2. Handlungswissen
    Menschen möchten wissen, was konkret sie tun müssen, um die gewünschten Effekte zu erreichen.

DVGS: Müssen Menschen wirklich immer mehr Sport treiben, um Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorzubeugen? Oder kann auch einfach mehr körperliche Aktivität im Alltag hilfreich sein?

Uwe Schwan: Um einen präventiven gesundheitlichen Effekt zu haben, muss es regelmäßiger Ausdauersport sein. Die normalen Aktivitäten reichen da leider nicht aus. Studien aus den letzten 70 Jahren zeigen, dass nur der regelmäßiger aerobe dynamische Ausdauersport den besten Schutz bietet. Das bedeutet, weniger koronare Herzkrankheit, weniger Krankentage, weniger Medikamente und weniger Krankenhausaufenthalte. Der Ausdauersport muss dann 4–5-mal pro Woche jeweils 30–45 Minuten erfolgen. Das ist also eine echte Herausforderung. Hinzu kommt, dass der Schutz nur wirkt, wenn gleichzeitig das Ernährungsverhalten stimmt und man frei von Nikotin ist

Anders sieht es bei bereits bestehender Herz-Kreislauf-Erkrankung aus. Dann kann das regelmäßige Ausdauertraining den Prozess der Erkrankung zwar verlangsamen, aber nie stoppen.

DVGS: Hat körperliche Aktivität im Jugendalter Einfluss auf das spätere Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen?

Prof. Gerhard Huber: Dazu fehlen noch belastbare Langzeitstudien. Allerdings wissen wir z.B. aus einer Studie [1], dass körperliche Fitness der beste Prädiktor für ein geringes Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist.

DVGS: Lieber Herr Professor Huber, lieber Herr Schwan, wir danken Ihnen sehr für das interessante Gespräch.

Literatur

[1] García-Hermoso, A., Ramírez-Vélez, R., García-Alonso, Y., Alonso-Martínez, A. M., & Izquierdo, M. (2020). Association of cardiorespiratory fitness levels during youth with health risk later in life: A systematic review and meta-analysis. JAMA pediatrics, 174(10), 952-960.

Hinweis: DVGS erstellt digitale Medien
Der DVGS e.V. konzipiert und implementiert evidenzbasiert und biopsychosozial orientierte Bewegungsinterventionen für die Prävention für Menschen mit Risikofaktoren oder die Therapie bei bereits bestehenden Erkrankungen wie Diabetes mellitus, Übergewicht, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Bluthochdruck. Für diese Programme entwickelt der DVGS in Kooperation mit der DAK-Gesundheit u.a. digitale Medien, die die Themen wissenschaftlich gesichert aber trotzdem kurzweilig und anschaulich vermitteln. Einen entsprechenden Beispielfilm finden Sie hier zum Thema Gewichtsregulierung.