Nachgemessen: Wer sich mehr bewegt lebt länger?
Köppel, M. & Peters, S.
Die Senkung der Sterblichkeit durch körperliche Aktivität ist seit nunmehr 70 Jahren Gegenstand epidemiologischer Forschung und kann durch die konsistente Datenlage prinzipiell als gut gesichert angesehen werden [5]. Die bisherige Forschung hat jedoch ein zentrales methodisches Manko: die Subjektivität der erhobenen Daten. Epidemiologische Forschung bedarf großer Stichproben bis in den sechsstelligen Bereich [7,8]. Hierfür ist der Einsatz objektiver Messinstrumente zur körperlichen Aktivität sehr kostenintensiv und höchst aufwändig, weshalb bislang üblicherweise per Fragebogen gemessen wurde. Die körperliche Aktivität wird hier z. B. über METs definiert, dem Verhältnis von Arbeits- zu Ruheumsatz mit Bezug zum Körpergewicht (siehe z. B. „International Physical Activity Questionnaire, IPAQ“). Diese METs werden errechnet als Produkt des im Fragebogen berichteten Umfangs der körperlichen Aktivität und deren Intensität. Die subjektive Erfassung körperlicher Aktivität ist jedoch sehr ungenau, wie Helmerhorst et al. in einem systematischen Review zeigten [4]. Sie haben 96 Studien analysiert, welche von 130 verschiedenen Fragebögen die Testgüte hinsichtlich der Erfassung körperlicher Aktivität prüften. Nur 4 der Instrumente zeigten sowohl bei der Reliabilität, als auch bei der Validität akzeptable bis gute Werte. Außerdem schien es besonders schwer, bewegungsarme Zeiten („sedentary behaviour“) zu erfassen. Die Werte der Fragebögen stimmen hier offenbar nur gering mit objektiven Messverfahren überein [4].
Jetzt auch mit Schtrittzähler…
In einer kürzlich erschienenen australischen Untersuchung von Dwyer und Kollegen wurde hingegen erstmals der Zusammenhang von körperlicher Aktivität und „all-cause mortality“ anhand objektiver Schrittzahlen bei 2576 Personen evaluiert [3]. Letztere stammen aus den Kohorten dreier australischer und tasmanischer Studien (AUSDIAB, TASOAC, TASCOG). Die Teilnehmer trugen für den kurzen Zeitraum von bis zu einer Woche Schrittzähler, wobei 2 aufeinander folgende Messtage als Referenz herangezogen wurden. Ergänzend wurden moderate und intensive Aktivität per Fragebogen erhoben. Die Sterblichkeitsrate der Teilnehmer wurde im Folgenden über 10 Jahre hinweg registriert. Für Statistiker: die Zusammenhänge zwischen Mortalität und Aktivitätsparametern wurden mittels Kaplan-Meier Methode und Cox-Regression modelliert [3].
Jeder Schritt lohnt sich
Bis zum Follow-Up-Termin wurden in der Stichprobe bei einer jährlichen Mortalitätsrate von 8,5 Fällen pro 100 Personen-Jahren insgesamt 219 Todesfälle registriert. Hierbei wies die Mortalität einen inversen stetigen Zusammenhang zur Anzahl der durchschnittlich zurückgelegten Schritte zu Baseline auf, wobei die Daten entgegen des häufig postulierten J-förmigen Zusammenhangs zwischen Aktvitätsumfang und Mortalität, durch ein lineares Modell am besten modelliert werden konnten. Konkret ergab sich eine Reduzierung des Mortalitätsrisikos von 6% pro 1 000 Schritten pro Tag (OR = 0,94, CI, 0,90-0,98, p = .002). Ein Effekt welcher auch innerhalb einer Subgruppenanalyse hinsichtlich verschiedenster Risikofaktoren relativ konstant blieb (wenngleich nicht signifikant, was ggf. auf die kleinen Subgruppen zurückzuführen ist). Ebenfalls negativ mit dem Sterberisiko assoziiert zeigte sich die subjektive Aktivitätsbeurteilung, welche bei einem wöchentlichen Umfang von über 3 Stunden intensiver Aktivität um 51% (OR = 0,49, CI, 0,30-0,82, p= .005) gesenkt werden konnte und einen von der täglichen Schrittzahl unabhängigen gesundheitlichen Nutzen aufweist.
Eine starke Wirkung konnte auch für die Veränderung der täglichen Schrittzahl nachgewiesen werden (Diese Daten wurden in einer Teilkohorte n= 1 673 erhoben). Hier konnten ehemals körperlich inaktive Personen (< 1 000 Schritte pro Tag) ihr Sterberisiko um 46% senken, sofern sie die empfohlenen 10 000 Schritte [6] erreichten. Diesbezüglich ließ sich über alle Personen hinweg eine mittlere Abnahme der täglichen Schrittzahl von 440 Schritten zwischen Baseline und Follow-Up verzeichnen.
Durch die objektiven Daten konnte die hohe Bedeutung von leichter körperlicher Aktivität hervorgehoben werden. Weil es so schwierig ist, diese mit Fragebögen zu erfassen, stießen hier zuvor viele epidemiologische Untersuchungen an Grenzen.
Konsequenz – Bewegung definiert sich nicht alleine über den Sport
Eine Konsequenz die aus diesen Ergebnissen erneut gezogen werden sollte, liegt in der Förderung von Bewegung abseits des Sports. Gerade zur Motivation von wenig bewegungsaffinen Menschen stellt Sport eine oftmals zu große Hürde dar. Weil körperliche Inaktivität zu den größten Herausforderungen von Public Health gezählt wird [1], gilt es, auch leichte körperliche Aktivität als Ziel in den Blick zu rücken.
Epilog
Ungeachtet der im Beitrag gepriesenen höheren Qualität der objektiven Daten gilt es aber zu beachten, dass derartige Messverfahren empirisch nachweisbar [2] mit experimenteller Reaktivität einhergehen. D.h. die Personen erhöhen alleine durch das Tragen des Schrittzählers und der Tatsache, dass sie an einer Aktivitätsuntersuchung teilnehmen, bereits ihr Aktivitätsniveau. Das ist natürlich aus Gesundheitssicht sehr begrüßenswert! Wissenschaftlich gesehen sind aber somit auch die objektiven Parameter mit einer gewissen Unschärfe behaftet.
(MK), (SP); Für Rückmeldungen, Kritik, Lob, Anregungen zum Text und neuen Themen und alles Weitere: maximilian.koeppel@outlook.de
Referenzen:
1. Blair SN. Physical inactivity: the biggest public health problem of the 21st century. British journal of sports medicine 2009;43:1-2
2. Bravata DM, Smith-Spangler C, Sundaram V, et al. Using pedometers to increase physical activity and improve health: a systematic review. Jama 2007;298:2296-2304
3. Dwyer T, Pezic A, Sun C, et al. Objectively Measured Daily Steps and Subsequent Long Term All-Cause Mortality: The Tasped Prospective Cohort Study. PloS one 2015;10:e0141274
4. Helmerhorst HJ, Brage S, Warren J, Besson H, Ekelund U. A systematic review of reliability and objective criterion-related validity of physical activity questionnaires. Int J Behav Nutr Phys Act 2012;9:103-157
5. Löllgen H, Böckenhoff A, Knapp G. Physical activity and all-cause mortality: an updated meta-analysis with different intensity categories. International journal of sports medicine 2009;30:213-224
6. Marshall SJ, Levy SS, Tudor-Locke CE, et al. Translating physical activity recommendations into a pedometer-based step goal: 3000 steps in 30 minutes. American journal of preventive medicine 2009;36:410-415
7. Van der Ploeg HP, Chey T, Korda RJ, Banks E, Bauman A. Sitting time and all-cause mortality risk in 222 497 Australian adults. Archives of internal medicine 2012;172:494-500
8. Wen CP, Wai JPM, Tsai MK, et al. Minimum amount of physical activity for reduced mortality and extended life expectancy: a prospective cohort study. The Lancet 2011;378:1244-1253