Potentielle Einflussfaktoren auf das körperliche Aktivitätsniveau von Kindern und Jugendlichen
Um Maßnahmen zur Bewegungsförderung zu entwickeln, ist es nötig, Variablen zu identifizieren, die mit dem körperlichen Aktivitätsniveau von Kindern und Jugendlichen assoziiert sind. Folgend werden entsprechend wahrgenommene Barrieren und Förderfaktoren dargestellt. Hierbei ist anzumerken, dass die angeführten Zusammenhänge aus Querschnittserhebungen stammen und somit lediglich korrelativer und nicht kausaler Natur sind.
Wahrgenommene Barrieren und Förderfaktoren
Martins und Kollegen (2021) [1] betrachteten in ihrer Übersichtsarbeit qualitativer Studien Barrieren und Förderfaktoren für körperliche Aktivität bei Jugendlichen und updaten damit ihr Review von 2015 [2]. Hierbei werden die Einflussvariablen in fünf Dimensionen eingeteilt. (Hier werden die Ergebnisse beider Reviews dargestellt; um Redundanzen zu verhindern, finden lediglich jene Förderfaktoren Erwähnung, die sich nicht einfach durch die Umkehr einer Barriere ergeben z. B. Barriere: niedrige Fitness & Förderfaktor: gute Fitness.)
Persönliche Faktoren
- Funktionsfähigkeit und Fitness
> Barrieren: Niedrige körperliche Fitness, beschränkte motorische Fertigkeiten, Müdigkeit, Verletzungen, Übergewicht/ Adipositas, Gesundheitsprobleme, körperliches Unwohlsein
- Haltung zu Bewegung, Bewegungskompetenz, Selbstwirksamkeit und Motivation
> Barrieren: Negative Haltung gegenüber Bewegung, niedrige wahrgenommene Bewegungskompetenz, fehlendes Effekt und Handlungswissen, kulturelle und religiöse Normen bzgl. Bewegung (für Mädchen)
> Förderfaktor: Freude an Bewegung
Soziale & familiäre Faktoren
- Freunde und Peers
> Barrieren: Mangel an Unterstützung und Partizipation der Freunde an Bewegung, Bevorzugung anderer Freizeitbeschäftigungen der Freunde
> Förderfaktor: Sportliche Vorbilder im Freundeskreis
- Familie
> Barrieren: Mangel an Unterstützung (finanziell, Infrastruktur, motivational), niedriges Aktivitätsniveau der Familienmitglieder, familiärer Druck durch kulturelle und religiöse Normen (für Mädchen)
> Förderfaktor: Gemeinsames Sporttreiben, Forderung seit früher Kindheit
- Weitere Bezugspersonen
> Barrieren: Weitere Bezugspersonen wie Sportlehrer und Trainer können ebenfalls als Barrieren auftreten: zu kompetitiv, diskriminierend gegenüber Mädchen und motorisch benachteiligten Jugendlichen
Setting Schule
> Barrieren: Limitierte Bewegungsmöglichkeiten und Ausrüstung, niedriger Status von Bewegung seitens Lehrer und Schulleitung, stark kompetitives Umfeld, Sportlehrermangel, zu wenig Zeit für Bewegung, fehlendes Mitspracherecht, Angst vor Bloßstellung (insb. Mädchen)
Lebensumstände
> Barrieren: Zeitmangel zugunsten des Lernens (insb. Wechsel auf weiterführende Schule), familiäre Verpflichtungen, Teilzeitjobs, Bevorzugung anderer Freizeitbeschäftigungen (z. B. Freunde, Mediennutzung). Besonders die körperliche Aktivität von Mädchen leidet durch die körperliche Veränderung in der Pubertät und die veränderten kulturellen und religiösen Ansprüche an sie.
Soziokulturelle Faktoren
> Barrieren: Limitierter Zugang zu Bewegungsmöglichkeiten und fehlende Ausrüstung, Sicherheitsbedenken, schlechtes Wetter, Fokussierung existierender Angebote auf motorisch versierte Jugendliche und Unspezifität für Mädchen, niedriger sozioökonomischer Status (SES)
Die Übersichtsarbeit von McGrath und Kollegen (2015) ergänzt dieses Bild um infrastrukturelle Barrieren und Förderfaktoren [3]. Auch hier ist jedoch anzumerken, dass die meisten der eingeschlossenen Originalarbeiten aus den USA stammen und lediglich sechs Studien in Europa durchgeführt wurden, wovon fünf aus Großbritannien und eine aus Belgien war. Der Übertrag auf Deutschland ist also nur unter Vorbehalt möglich. Analog zu oben können Eltern auch hier sowohl als Barrieren, aber auch als Förderfaktoren in Erscheinung treten. So zeigt sich, dass etwa zwei Drittel der körperlichen Aktivität von Kindern im Freien in unmittelbarer Nähe bzw. unter Beobachtung der Eltern stattfindet. Dies konnte entweder dadurch begründet sein, dass Eltern ihre Kinder zu Bewegung aktiv animieren und/oder Eltern aufgrund von Sicherheitsbedenken die Kinder in ihrer Nähe wissen wollen. Diese Sicherheitsbedenken können jedoch auch negative Wirkungen auf das Aktivitätsverhalten haben. So beobachteten die Autoren einen negativen Zusammenhang
zwischen Aktivität im Freien auf Spielplatzen und anderen öffentlichen Bewegungslandschaften und Sicherheitsbedenken insbesondere im Hinblick auf die Verkehrssituation bei Kindern.
Dafür wird ein Drittel der außerschulischen Bewegungszeit von Kindern im eigenen Garten verbracht. Bei Jugendlichen wirkten sich öffentliche Bewegungslandschaften positiv auf das Bewegungsverhalten aus. Doch auch hier entfällt etwa die Hälfte der außerschulischen Bewegungszeit auf Aktivitäten in unmittelbarer Nähe ihres Zuhauses (Umkreis von 150 m). Knapp ein Fünftel der außerschulischen Bewegungszeit von Jugendlichen entfällt auf Aktivitäten im eigenen Garten. Selbstredend hatten aktive Wegzeiten zur Schule einen positiven Effekt auf das Aktivitätsniveau der Kinder und Jugendlichen.
Fazit:
- Jungs sind altersübergreifend aktiver als Mädchen [4].
- Mit dem Alter nimmt das Aktivitätsniveau ab [4].
- Einfluss von SES und Migrationshintergrund sind nicht eindeutig zu generalisieren und werden durch Geschlecht und Alter moderiert [5, 6].
- Kulturelle und religiöse Einflüsse betreffen insbesondere Mädchen und sind negativ mit körperlicher Aktivität assoziiert [1].
- Familie und Freunde können durch ihre Einstellung gegenüber Bewegung und ihr Bewegungsverhalten sowohl als Barrieren als auch Förderfaktoren wirken [1].
- Die Verfügbarkeit von Bewegungsräumen und Ausrüstung sind wichtige Förderfaktoren [1].
- Mit der Pubertät nehmen die Barrieren für Mädchen deutlich zu [1].
- Bewegung findet verstärkt nah an Zuhause statt [3].
Autor:
Maximilian Köppel
Deutscher Verband für Gesundheitssport und Sporttherapie (DVGS) e.V.
Vogelsanger Weg 48
50354 Hürth-Efferen
Literatur
[1] Martins, J., Costa, J., Sarmento, H., Marques, A., Farias, C., Onofre, M., & Valeiro, M. G. (2021). Adolescents’ perspectives on the barriers and facilitators of physical activity: an updated systematic review of qualitative studies. International Journal of Environmental Research and Public Health, 18(9), 4954.
[2] Martins, J., Marques, A., Sarmento, H., & Carreiro da Costa, F. (2015). Adolescents’ perspectives on the barriers and facilitators of physical activity: a systematic review of qualitative studies. Health education research, 30(5), 742 – 755.
[3] McGrath, L. J., Hopkins, W. G., & Hinckson, E. A. (2015). Associations of objectively measured built-environment attributes with youth moderate–vigorous physical activity: a systematic review and meta-analysis. Sports medicine, 45(6), 841 – 865.
[4] Sterdt, E., Liersch, S., & Walter, U. (2014). Correlates of physical activity of children and adolescents: A systematic review of reviews. Health Education Journal, 73(1), 72 – 89.
[5] Jekauc, D., Reimers, A. K., Wagner, M. O., & Woll, A. (2012). Prevalence and socio-demographic correlates of the compliance with the physical activity guidelines in children and adolescents in Germany. BMC public health, 12(1), 1 – 9.
[6] Schmidt, S. C., Anedda, B., Burchartz, A., Oriwol, D., Kolb, S., Wasche, H., … & Woll, A. (2020). The physical activity of children and adolescents in Germany 2003 – 2017: The MoMo-study. PLoS one, 15(7), e0236117