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Widerstandstraining – ein oft vernachlässigtes Medikament das jeder in seiner Hausapotheke hat

von Dr.Yorgi Mavros, PhD. Lecturer, University of Sydney
Twitter: @dryorgimavros
(Übersetzung: Isabel Schneider, M.A.)

Abdruck mit freundlicher Genehmigung des British Journal of Sports Medicine. Der englischsprachige Originaltext ist im dortigen Blog erschienen:
http://blogs.bmj.com/bjsm/2017/11/27/resistance-training-underutilised-drug-available-everybodys-medicine-cabinet/?utm_campaign=shareaholic&utm_medium=twitter&utm_source=socialnetwork

Je älter wir werden, desto mehr verlieren wir an Muskelmasse, nämlich rund 1% pro Jahr. Noch schlimmer allerdings ist der Kraftabbau, der noch etwa dreimal schneller vonstatten geht [1]. Die Konsequenzen dieses Kraftverlustes sind gravierend, denn zwischen nachlassender Muskelkraft und einem steigenden Demenzrisiko [2], einem grösseren Pflegebedarf und einer erhöhten Sterblichkeitsrate [3]besteht ganz offensichtlich ein Zusammenhang. Sollten wir dies als gottgegeben hinnehmen, oder gibt es eine Möglichkeit, diesen Prozessen vorzubeugen, sie gar umzukehren oder den altersbedingten Abbau zumindest zu velangsamen?

Im Jahr 1990 unterzogen sich neun Bewohner eines Pflegeheims, alle über 90 Jahre alt, einer Trainingsintervention mit der Bezeichnung „progressives Widerstandstraining“, allgemein auch als Krafttraining bekannt. Diese Massnahme hatte zum Ziel, speziell gegen den Verlust an Muskelmasse und die sich daraus ergebenden funktionellen Einschränkungen vorzugehen [4]. Nach nur acht Wochen zeigten diese älteren Herrschaften bereits durchschnittliche Kraftzugewinne von 174%, zwei von ihnen waren danach nicht mehr auf einen Gehstock angewiesen. Ausserdem konnte einer von drei Personen, die vorher nicht fähig waren alleine aus ihrem Stuhl aufzustehen, diese Aufgabe nun ohne fremde Hilfe bewältigen. Wenn ich nun behaupte dass es eine Medizin gibt, die Du oder einer Deiner Liebsten einnehmen kann und die in der Lage ist jeden von Euch so stark zu machen dass Ihr alleine vom Stuhl aufstehen könnt, würdet Ihr sie nehmen?

Was wäre, wenn Du oder einer Deiner Liebsten eine Schenkelhalsfraktur erleiden würde und ich behaupte dass dieselbe Medizin helfen könnte, das Sterblichkeitsrisiko um 81% zu verringern, das Risiko in ein Heim zu kommen sogar um 84%, wie diese Studie aufgezeigt hat? [5] Momentan besteht der einzige Zugang zu dieser Medizin darin, Gewichte zu heben oder physische Widerstände zu bewältigen.

Eine aktuelle Studie aus Großbritannien [6] weist bei Erwachsenen die zweimal die Woche an einem Krafttrainingsprogramm teilgenommen haben ein Absenken des allgemeines Sterblichkeitsrisikos um 20% nach, das Risiko an einer Krebserkrankung zu sterben sank sogar um 43%. Daten einer Studie zur Frauengesundheit die in den USA zur gleichen Zeit publiziert wurden zeigen ähnliche Ergebnisse: Frauen die bis zu 145 Minuten pro Woche Krafttraining machten hatten ein um 19-27% geringeres allgemeines Sterblichkeitsrisiko [7].

Wo aber kommen die Vorteile des Krafttrainings her? Zu allererst wirkt Krafttraining anabol, stimuliert also ein Muskelwachstum, und ist so die einzige Form des körperlichen Trainings das dem altersbedingten Abbau an Kraft und Muskelmasse entgegenwirkt. In unserem Labor an der Universität Sydney konnten wir nachweisen, dass wir mit dieser Art des Trainings auch die kognitive Leistungsfähigkeit von solchen Erwachsenen steigern konnten, die über subjektive Gedächtnisprobleme geklagt haben [8]. Dabei sollte man ausserdem wissen, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen Kraftzuwachs und verbesserter Gedächtnisleistung gibt, was ausserdem bedeutet, dass ein maximierter Kraftzuwachs auch dazu führen kann, die Verbesserung des Gesamtwohls zu maximieren [9]. Diese Art von Training wurde sogar in Krankenhäusern an Dialysepatienten erprobt, wo es sowohl in der Lage war Entzündungsprozesse einzudämmen, als auch Muskelkraft und Körperzusammensetzung zu verbessern [10].

Andere Labors auf der ganzen Welt haben Krafttraining ausserdem dazu eingesetzt, die Knochendichte bei Frauen in den Wechseljahren zu erhöhen [11], den Blutzuckerspiegel bei Erwachsenen Typ II Diabetikern zu senken [12] und bei Männern mit Prostatakrebs den katabolen Nebenwirkungen einer Androgen-Entzugstherapie entgegenzuwirken [13]. Darüber hinaus verbessert es die Schlafqualität [14], wirkt gegen Depressionen [15] und hilft bei der Genesung nach einem Herzinfarkt [16].

Es ist daher kein Wunder dass Gesundheitsrichtlinien bezüglich körperlicher Aktivität in Australien [17]oder Grossbritannien [18] dazu raten, ein regelmäßiges, etwa 2-3 mal wöchentliches Krafttraining durchzuführen, wobei diesen Richtlinien allerdings leider eine detaillierte Empfehlung bezüglich Häufigkeit und Intensität fehlt.

All die oben diskutierten Studien mit randomisiertem, kontrolliertem Versuchsaufbau haben ein Kernthema gemeinsam: nicht nur wurden die entsprechenden Übungen mindestens zweimal die Woche durchgeführt, sie fanden auch unter permanenter Beaufsichtigung statt, es wurden Maschinen oder freie Gewichte verwendet, bei einer hohen Intensität. Diese ist allgemein festgelegt bei 80% der maximalen individuellen Kraftfähigkeit. Aus diesem Grund möchte ich auch das Augenmerk auf die Richtlinien des American College of Sports Medicine (ACSM) lenken [19], die besagen, dass alle, auch ältere Erwachsene, mindestens zweimal die Woche ein progressives Krafttraining durchführen sollten. Dies sollte – auf einer Skala von null bis zehn – mit einer moderaten (5-6) bis hohen (7-8) Intensität stattfinden und alle wichtigen Muskelgruppen des Körpers mit einbeziehen. Wenn Du also die Vorzüge Deiner Zeit im Fitness-Studio maximieren möchtest oder Deinen Lebenswandel positiv verbessern magst, dann denk dran, es gibt eine Medizin die Du nehmen kannst: heb‘ Gewichte oder mach‘ eine andere Form von Krafttraining, dreimal die Woche, und vor allem, sieh‘ zu dass es sich moderat bis anstrengend anfühlt. So steigt nicht nur Deine Lebenserwartung, sondern auch Deine Lebensqualität.

Übersetzt von
Isabel Schneider
M.A. Englisch als Fremdsprache
MA Sportwissenschaften
Dozent an der H:G Hochschule für Gesundheit und Sport, Technik und Kunst
Isabel.Schneider@my-campus-berlin.com
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Literatur

  1. Goodpaster, B.H., et al., The loss of skeletal muscle strength, mass, and quality in older adults: the health, aging and body composition study. The Journals of Gerontology Series A: Biological Sciences and Medical Sciences, 2006. 61(10): p. 1059-1064. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/17077199
  2. Boyle, P.A., et al., Association of Muscle Strength with the Risk of Alzheimer’s Disease and the Rate of Cognitive Decline in Community-Dwelling Older Persons. Archives of neurology, 2009. 66(11): p. 1339-1344. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2838435/
  3. Ruiz, J.R., et al., Association between muscular strength and mortality in men: prospective cohort study. BMJ, 2008. 337http://www.bmj.com/content/337/bmj.a439
  4. Fiatarone, M.A., et al., High-intensity strength training in nonagenarians: Effects on skeletal muscle. JAMA, 1990. 263(22): p. 3029-3034. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/2342214
  5. Singh, N.A., et al., Effects of High-Intensity Progressive Resistance Training and Targeted Multidisciplinary Treatment of Frailty on Mortality and Nursing Home Admissions after Hip Fracture: A Randomized Controlled Trial. Journal of the American Medical Directors Association. 13(1): p. 24-30. http://www.jamda.com/article/S1525-8610%2811%2900273-8/abstract
  6. Stamatakis, E., et al., Does strength promoting exercise confer unique health benefits? A pooled analysis of eleven population cohorts with all-cause, cancer, and cardiovascular mortality endpoints. American Journal of Epidemiology, 2017: p. kwx345-kwx345. https://academic.oup.com/aje/article/doi/10.1093/aje/kwx345/4582884
  7. Kamada, M., et al., Strength Training and All‐Cause, Cardiovascular Disease, and Cancer Mortality in Older Women: A Cohort Study. Journal of the American Heart Association, 2017. 6(11). http://jaha.ahajournals.org/content/6/11/e007677
  8. Fiatarone Singh, M.A., et al., The Study of Mental and Resistance Training (SMART) Study—Resistance Training and/or Cognitive Training in Mild Cognitive Impairment: A Randomized, Double-Blind, Double-Sham Controlled Trial. Journal of the American Medical Directors Association, 2014. 15(12): p. 873-880. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/25444575
  9. Mavros, Y., et al., Mediation of Cognitive Function Improvements by Strength Gains After Resistance Training in Older Adults with Mild Cognitive Impairment: Outcomes of the Study of Mental and Resistance Training. Journal of the American Geriatrics Society, 2017. 65(3): p. 550-559. http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/jgs.14542/full
  10. Cheema, B., et al., Progressive Exercise for Anabolism in Kidney Disease (PEAK): A Randomized, Controlled Trial of Resistance Training during Hemodialysis. Journal of the American Society of Nephrology, 2007. 18(5): p. 1594-1601. http://jasn.asnjournals.org/content/18/5/1594.full
  11. Watson, S.L., et al., High-Intensity Resistance and Impact Training Improves Bone Mineral Density and Physical Function in Postmenopausal Women With Osteopenia and Osteoporosis: The LIFTMOR Randomized Controlled Trial. Journal of Bone and Mineral Research: p. n/a-n/a. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/m/pubmed/28975661/
  12. Castaneda, C., et al., A Randomized Controlled Trial of Resistance Exercise Training to Improve Glycemic Control in Older Adults With Type 2 Diabetes. Diabetes Care, 2002. 25(12): p. 2335-2341. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/12453982
  13. Galvao, D.A., et al., Resistance Training and Reduction of Treatment Side Effects in Prostate Cancer Patients. Medicine & Science in Sports & Exercise, 2006. 38(12): p. 2045-2052. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/17146309
  14. Kovacevic, A., et al., The effect of resistance exercise on sleep: A systematic review of randomized controlled trials. Sleep Medicine Reviews, 2017. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/28919335
  15. Singh, N.A., et al., A randomized controlled trial of high versus low intensity weight training versus general practitioner care for clinical depression in older adults. The Journals of Gerontology: Series A, 2005. 60(6): p. 768-776. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/15983181
  16. Hollings, M., et al., The effect of progressive resistance training on aerobic fitness and strength in adults with coronary heart disease: A systematic review and meta-analysis of randomised controlled trials. European Journal of Preventive Cardiology, 2017. 24(12): p. 1242-1259. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/28578612
  17. Brown, W., G. Moorhead, and A. Marshall, Choose health: Be Active: A physical activity guide for older Australians. Canberra: Commonwealth of Australia, 2005. 1:p.18. http://www.health.gov.au/internet/main/publishing.nsf/Content/3244D38BBBEBD284CA257BF0001FA1A7/$File/choosehealth-brochure.pdf
  18. Davies, S., et al., Start active, stay active: a report on physical activity from the four home countries. Chief Medical Officers, 2011. 16306: p. 1-62. https://www.nhs.uk/Livewell/fitness/Documents/older-adults-65-years.pdf
  19. Chodzko-Zajko, W.J., Exercise and physical activity for older adults. Kinesiology Review, 2014. 3(1): p. 101-106. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/19516148